Dokumentation Luxemburg in Bonn

von Malte Meyer

Information

Zeit

30.06.2018

Themenbereiche

Rosa Luxemburg

Rosa Luxemburgs antiautoritärer Marxismus ist quicklebendig und hochaktuell – zu dieser Einschätzung gelangten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines eintägigen Lektüretags, den die RLS NRW am 30. Juni passenderweise in den Räumen von MIGRApolis, einem kosmopolitischen Begegnungszentrum in Bonn veranstaltete. Immerhin war die im polnischen Teil des russischen Zarenreiches geborene Jüdin die weitaus meiste Zeit ihres Lebens selbst eine „Marxistin mit Migrationshintergrund“. Rosa Luxemburg setzte sich immer wieder – wenn nötig klandestin – über staatliche Grenzen hinweg und erachtete es auch politisch als absolut vordringlich, nationale Spaltungslinien innerhalb der globalen Arbeiterklasse zu überwinden.

Die dezidiert antinationale und staatsfeindliche Stoßrichtung ihres Denkens und Handelns machte sie zum Hassobjekt der zeitgenössischen Konterrevolution, provoziert die herrschaftsversessene politische Rechte aber noch bis auf den heutigen Tag. Wie stark, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass polnische Behörden im Rahmen ihrer heiligen Hetzjagd gegen kommunistische Gespenster unlängst sogar die ersatzlose Entfernung einer Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus von Luxemburgs Familie in Zamość durchgesetzt haben.  Die Einsicht, dass kapitalistische Eigentumsverhältnisse und Nationalstaaten als solche große Hindernisse sind, wenn es um die Lösung von Menschheitsproblemen wie Ausgrenzung, Armut, Frauenbenachteiligung, Ausbeutung, Krieg und Naturzerstörung gehen soll, darf aus Sicht konservativer Besitzstandswahrung eben so wenig wie möglich um sich greifen.

Nun wäre es nicht nur etwas überambitioniert, von einem einzigen (und noch dazu ziemlich heißen) Tag die Lösung gleich mehrerer Menschheitsprobleme zu erwarten. Unmöglich erscheint es bereits, in einer solch kurzen Zeit auch nur das äußerst facettenreiche Leben und Werk Rosa Luxemburgs angemessen zu würdigen. In ihren Eigenschaften als Naturliebhaberin und Briefeschreiberin, als Imperialismustheoretikerin und Kongressdelegierte, als Antimilitaristin und Künstlerin kam die Revolutionärin deshalb in der Bonner MIGRApolis eindeutig zu kurz. Aber bereits unsere Konzentration auf die Themenkomplexe „Internationalismus statt Nationalismus“, „Gewerkschaften oder Massenstreik“ sowie „sozialistische Demokratie vs. Parteidiktatur“ konnte einen ersten guten Einblick in die Spezifik eines prinzipiell selbstkritischen und damit ebenso undogmatischen wie antiopportunistischen Marxismus vermitteln.

Diesem Marxismus ist wenig damit gedient, wenn Rosa Luxemburg als Säulenheilige eines „kämpferischen Lebens“ glorifiziert und damit aus dem konkreten Möglichkeitsraum politischen Denken entrückt wird. Hilfreicher wäre es stattdessen, wenn sich an möglichst vielen Orten Lesekreise bilden, die sich ganz direkt mit den Schriften Rosa Luxemburgs und ihrer Bedeutung für unsere Gegenwart beschäftigen. Dass eine solche Arbeit nicht nur möglich ist, sondern auch Spaß bringen kann, stellte nicht zuletzt der jüngste „Lesetag zum Kennenlernen einer antiautoritären Marxistin“ in Bonn unter Beweis.

Verwendete Literatur:

  • Massenstreik, Partei und Gewerkschaften [1906], in: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke Bd. 2, Berlin (DDR) 1986, S. 93–170
  • Der Acheron in Bewegung [1918], in: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke Bd. 4, Berlin (DDR) 1974, S. 419-422
  • Die russische Revolution [1918], in: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke Bd. 4, Berlin (DDR) 1974, S. 332-365
  • Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie: in: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke Bd. 1.2, Berlin (DDR) 1979, S. 422–446.
  • Der Wiederaufbau der Internationale: in: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke Bd. 4, Berlin (DDR) 1974, S. 20-32
  • Rosa Luxemburg: Nationalitätenfrage und Autonomie, Berlin 2018