Publikation Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Deutsche / Europäische Geschichte - Arbeit / Gewerkschaften «Das ist kein Streik mehr, das ist eine Bewegung»

Teilhabe durch Streik und gewerkschaftliches Engagement

Information

Reihe

Online-Publ.

14 Millionen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter waren zwischen 1955 und 1973 insgesamt, wenn auch nicht gleichzeitig, in Deutschland berufstätig – ein Viertel davon waren Frauen (Bewernitz 2014, S. 144). Noch 1954 lautete die Beurteilung einer solchen Methode der Anwerbung von Arbeitskräften durch den DGB wie folgt: «Unbeschadet [der] internationalen Solidarität wird [...] keine Gewerkschaft eines Landes sich mit dem Hereinströmen von Arbeitskräften aus dem Ausland einverstanden erklären können, solange im eigenen Lande noch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Arbeitnehmern arbeitslos ist oder Kurzarbeit leistet» (zit. n. Goeke 2020, S. 177).

Das titelgebende Zitat dieses Beitrags stammt von Willy Brandt, der damit den von der Presse als «Türkenstreik» (Spiegel, zit. n. Goeke 2020, S. 122) oder sogar «Türkenterror» (Bild-Zeitung zit. n. Birke 2007, S. 301) titulierten spontanen Ausstand bei Ford in Köln im August 1973 kommentierte. Der Ford-Streik ist neben dem kurz zuvor stattgefundenen Streik bei dem Vergaser-Hersteller Pierburg in Neuss (Birke 2007, S. 297ff.; Goeke 2020, S. 99ff.) der bekannteste in einer ganzen Welle von «wilden» Streiks, die von «Gastarbeiterinnen» und «Gastarbeitern» geprägt wurden – Streiks, die nicht im Rahmen von Tarifverhandlungen stattfinden und zu denen nicht von einer Gewerkschaft aufgerufen wird. Der Pierburg-Streik ist dabei besonders hervorzuheben: Er war einer der wenigen dieser Streiks, der erfolgreich war. Zudem wurde er in außerordentlichem Maße von Frauen getragen. Wesentlichstes Ziel war die Abschaffung der für Frauen geltenden Leichtlohngruppe II: Pierburg Neuss ist damit ein Meilenstein nicht nur der Geschichte der Arbeitsmigration in Deutschland, sondern auch der Geschichte von Geschlecht und Arbeit. Hier wurde erstmals eine heute noch gültige Forderung der Gewerkschaften – «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!» durchgesetzt.

AUTOR:
Torsten Bewernitz, Jg. 1975, Politikwissenschaftler. Lehrt zurzeit an der Hochschule Darmstadt am Institut für Soziale Arbeit, Redakteur bei express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit.

Die Einschätzung des damaligen Bundeskanzlers, dass es sich um mehr als einen betrieblichen Streik handele, nämlich um eine soziale Bewegung, macht diese Ereignisse historisch so relevant. Zwar ist die heute oft als «Gastarbeiterstreiks» bezeichnete Welle, wie noch zu sehen sein wird, keineswegs ein rein migrantisches Phänomen, aber sie hat deutlich zu einer migrantischen Selbstermächtigung wie auch zu einer Teilhabe sowohl in den Gewerkschaften als auch in der bundesrepublikanischen Gesellschaft geführt (Bewernitz/Diedrich 2020).

Den ganzen Artikel im PDF lesen.

Der Beitrag erschien zuerst in: «Arbeit & Migration. Geschichten von hier», hrsg. vom Technoseum Mannheim, Darmstadt 2021. Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.