Nachricht | Dean: Schwarze, jüdische, muslimische und Roma-Communitys im vereinigten Deutschland; Berlin 2024

Über Selbstorganisation angesichts des Rassismus´ der Jahre der «Wiedervereinigung»

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Der Fall der Mauer am 9. November 1989 war ein einschneidendes Ereignis mit weitreichenden Folgen. Eine neue Publikation untersucht, wie (politische) Schwarze, jüdische, muslimische sowie Sinti- und Roma-Communities diese Zeit erlebt haben, sie interpretierten und politisch darauf reagierten.

Ende der 1980er-Jahre ist Westdeutschland seinem Selbstverständnis nach immer noch keine Einwanderungsgesellschaft. In der DDR sind die «nichtdeutschen» Gruppen in der Bevölkerung deutlich kleiner, und eine dem Westen vergleichbare Zivilgesellschaft existiert nicht, bzw. nur in sehr kleinen Nischen.

Nach dem Ende der DDR im Herbst 1989 und dem Zusammenschluss von BRD und DDR ist das neue Deutschland in einem nationalen Taumel, die Gewalt gegen migrantisch gelesene Personen steigt in Ost und West spürbar an. Jasmin Dean hat in jahrelanger Forschung in ihrer Dissertation untersucht, wie vier verschiedene minoritäre Communities mit dieser neuen Situation umgingen. Die jüdische Community veränderte sich stark durch den Zuzug der sogenannten Kontingentflüchtlinge, vor allem aus der Sowjetunion. Die muslimisch-türkische Community war besonders geprägt von den Kindern der sogenannten ersten Generation, die sich in jenen Jahren politisierten. Sinti und Roma versuchten, durch verschiedene Proteste auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Und schließlich die Schwarze Community, also vor allem Afrodeutsche, die in Deutschland geboren sind.

Als Quellen nimmt Dean sich jenseits von Literatur aus akademischen und aktivistischen Kontexten verschiedene kleine Bewegungszeitschriften wie Jekh Chib, Afrekete, Jüdische Korrespondenz oder Kauderzanca vor. Sie untersucht die Diskussionen etwa zu Nation, Identität und Diaspora und beschreibt das Selbstverständnis der jeweiligen Gruppen. So fragte sich etwa die Schwarze Community, ob sie schwarze Deutsche oder Schwarze in Deutschland seien1. Große Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen gab es zum Beispiel beim Staatsangehörigkeitsrecht, oder auch dadurch, dass viele in Deutschland oder der DDR geboren und aufgewachsen, andere durch Flucht, Arbeitsmigration oder eben Kontingente nach Deutschland gekommen waren. Dean untersucht die Organisierung und die Kooperation innerhalb der Communities wie die miteinander. Eines der Ziele war, sich gegen Antisemitismus und noch mehr gegen Rassismus zu wehren. Die Kommunikation und die Wissensaneignung war eine unter vordigitalen Bedingungen und deshalb spielten persönliche Freundschaften und familiäre Beziehungen eine vergleichsweise große Rolle. Fragen von Herkunft, Identität und Zugehörigkeit(en) werden ebenso verhandelt, wie Bedingungen von Gegenwehr und Solidarität.

Dean ist den Diskursen und Praktiken dieser Communitys nachgegangen, sie hat viel Neues und Wichtiges zu Tage gefördert und dokumentiert, und kann zeigen, wie Selbstverständigung und Selbstorganisation gegen die «deutschen Zustände» bewerkstelligt wurden.

Es kann aber auch gefragt werden, ob ihre Quellenauswahl nicht etwas zu klein und damit zu wenig repräsentativ ist. Ihre Publikation ist ein wichtiger Beitrag dazu, die Produktion des minoritären Wissens dieser Spektren zu dokumentieren -- und auch ein Zeichen des (späten) Respekts für das Engagement dieser Generation von emanzipatorischen Aktivist*innen. Diese brachten damals Themen und Perspektiven auf, die dann erst ab Mitte, Ende der 1990er-Jahre schrittweise in breiteren Kreisen der Linken (und noch später der Gesamtgesellschaft) Berücksichtigung fanden.

Dean hat ein bedeutsames Buch zu einem bisher wenig erforschten Thema vorgelegt und damit ein beeindruckendes Stück Bewegungsgeschichte geschrieben2. Ihr Buch ist nicht zuletzt ein kleiner Beitrag zur dringlichen Debatte darüber, wie heute Solidarität geübt und Allianzen trotz Differenzen gebildet werden können.

Jasmin Dean: Schwarze, jüdische, muslimische und Roma-Communitys im vereinigten Deutschland. Rassifizierung – Anerkennungskämpfe – Bündnispolitiken, Metropol Verlag, Berlin Dezember 2024, 392 Seiten, 28 Euro


1 Eine interessante Parallele ist, dass die Vertretung der Juden und Jüdinnen in Deutschland seit der Gründung 1950 Zentralrat der Juden in Deutschland und nicht etwa Zentralrat der deutschen Juden heißt.

2 Um Pluralisierung und Demokratisierung von Erinnerung und Geschichte in und mit unterschiedlichen (marginalisierten) Communities geht es in Iris Rajanayagam (Hrsg.): Geteilte Geschichte_n – Plurale Solidaritäten Diskussionen zur Verbindung von verflechtungsgeschichtlichen Ansätzen und community-übergreifenden Unterstützungsstrukturen, Bonn 2024, hier open access.