Vortrag & Diskussion mit Dirk Lehmann
In beinahe allen Gesellschaften Europas entstanden teils noch während des Ersten Weltkriegs, teils nach dessen Beendigung neuartige, bis dahin vollkommen unbekannte und daher auch noch weitgehend unbegriffene politische Bewegungen. Diese fielen vor allem durch ihre radikale Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, der organisierten Arbeiter*innenbewegung und der sozialwissenschaftlich-politischen Theorie des historischen Materialismus auf. Das hinderte diese Bewegungen freilich nicht daran, sich zugleich antikapitalistisch zu gerieren.
Der Antikapitalismus der Programme stand jedoch in krassem Gegensatz zur politischen Praxis der Bewegungen, sobald sie einmal in Regierungsverantwortung waren. Es hat sich etabliert, diese Bewegungen und Regime als faschistische zu charakterisieren.
Angesichts ihrer dezidierten Feindschaft gegen Arbeiter*innenbewegung und historischen Materialismus ist es leicht begreiflich, dass erste Versuche, den Faschismus begrifflich zu durchdringen, um ihn bekämpfen zu können, in der Arbeiter*innenbewegung selbst entstanden. Dabei stechen, neben den Arbeiten Clara Zetkins und Leo Trotzkis, vor allem die des Kreises um Max Horkheimer, der sog. Frankfurter Schule, hervor. Sie erlauben es, ein breites Verständnis des Faschismus zu gewinnen.
Es handelt sich beim Faschismus, so Horkheimer an einer bisher wenig beachteten Stelle, gerade nicht um einen ‚absolutistischen oder klerikalen Rückschlag’. Vielmehr ist der Faschismus die ‚Inszenierung einer bürgerlichen Pseudorevolution mit radikalen völkischen Allüren, entgegen einer möglichen Neuordnung der Gesellschaft überhaupt’.
Unter dem Titel Kritische Theorie über Faschismus wird es vor dem Hintergrund des Verständnisses des Faschismus als einer bürgerlichen Pseudorevolution angesichts der möglichen Neuordnung der Gesellschaft überhaupt, zum einen um das Verständnis der polit-ökonomischen Situation gehen, in der der Faschismus entstehen und sich etablieren kann. Das erhellt den dezidiert bürgerlichen Charakter dieser Pseudorevolution.
Zum anderen wird der inszenatorische Charakter der faschistischen Pseudorevolution thematisiert. Schließlich wird vor allem angesprochen, was den deutschen Faschismus insbesondere kennzeichnet – sein obsessiver Antisemitismus. In praktischer Absicht wird es somit mit den Arbeiten des Horkheimer-Kreises um ein umfassenderes Verständnis des Faschismus gehen.
Referent:
Dirk Lehmann hat in Duisburg und Bielefeld die Soziologie studiert. Er hat an den Universitäten Bielefeld, Bochum und Passau Seminare zur Soziologie gegeben. Gegenwärtig lebt und arbeitet er in Bielefeld und veröffentlich unregelmäßig im Kritiknetz.
Veranstaltung von: Rosa-Luxemburg-Club Bielefeld und Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW
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