Eine Vier-Tage Woche bei vollem Lohnausgleich wünschen sich 73 Prozent aller Vollzeit-Beschäftigten, so das Ergebnis einer im Mai 2023 veröffentlichten WSI-Umfrage. Kurz zuvor hatte die IG-Metall diese Forderung zum Gegenstand der Tarifverhandlungen in der Stahlbranche gemacht.
In Belgien gibt es seit 2022 entsprechende gesetzliche Vorgaben, die spanische Regierung unterstützt einen zwei Jahre laufenden Modellversuch, in Großbritannien ging kürzlich ein entsprechendes Pilotprojekt mit 60 Unternehmen zu Ende – und wurde von Beschäftigten wie Unternehmern überwiegend positiv bewertet.
Das «Normalarbeitsverhältnis» wird offenbar gerade neu definiert – was angesichts von Umbrüchen in Produktionstechnologien, verschärfter Konkurrenz um Fachkräfte, Energiewende, Klima- und Care-Krise nur folgerichtig ist.
Doch Auseinandersetzung um Arbeitszeit sind immer auch Kämpfe um Machtverhältnisse: Wer schuldet wem auf wessen Geheiß wie viel Zeit? Über wessen Gesundheit, Produktivität, "Work-Life-Balance" wird gerade in wessen Interesse diskutiert? Wer bleibt dabei unerwähnt? Was unterscheidet die Stahlindustrie vom Einzelhandel? Was unterscheidet Entlastungstarifverträge?
Welche politischen Forderungen braucht es, um die aktuelle Arbeitszeit-Debatte emanzipatorisch zu nutzen? Also, in den Worten von Oskar Negt, «als Kampf nicht nur um eine gleichmäßige Verteilung vorhandener Arbeit, sondern als Kampf um die Prinzipien gesellschaftlicher Organisierung von Arbeit, ja einer freien und gerechten Gesellschaft selbst».
Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich Sigrun Matthiesen in ihrem Vortrag. Sie argumentiert für eine solidarische Zeitpolitik und spricht über einen neuen Zeitdieb.
Sigrun Matthiesen ist Regisseurin, Journalistin und Redakteurin bei «OXI – Wirtschaft anders denken». Sie schreibt seit über 30 Jahren für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, Wissenschaftsverbände, soziale und politische Organisationen.
Der Vortrag wurde auf der Mitgliederversammlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW e.V. am 17. Juni 2023 aufgenommen.