Die Ausgabe 2019 des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung (JHK) widmet sich den globalen Verflechtungen und Transfers des Kommunismus vor und nach 1945. Das JHK erscheint seit 1993. Gegründet und lange geprägt wurde es von Hermann Weber. Es ist ein wichtiges, wenn nicht das einzige Fachorgan zur historischen Kommunismusforschung in deutscher Sprache. Die Texte aus den Ausgaben 2005 bis 2017 sind Open Access zugänglich: https://kommunismusgeschichte.de/jhk/
Wie breit aufgefächert die Kommunismusforschung ist, zeigt die vorliegende Ausgabe. Sie enthält 13 Beiträge zu sehr verschiedenen Themen und zwei weitere zur Periode nach 1989. Erstmals wurde ein band des JHK von einem Gastherausgeber gesteuert, in diesem Fall Matthias Middell von der Universität Leipzig. Dort fand unter dem Dach des Sonderforschungsbereiches «Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen» ein AutorInnenworkshop statt, aus dem diese Ausgabe entstand.
Die Beiträge (Inhaltsverzeichnis als PDF) behandeln teilweise auf den ersten Blick speziell wirkende Themen, wie z.B. die Entwicklung der (universitären) Afrikaforschung in der UdSSR, Ungarn und der DDR. Holger Weiss berichtet über die Debatte um Kolonialismus und Rassismus in der «Internationale der Hafenarbeiter und Seeleute» zu Beginn der 1930er Jahre. Hanno Plass über die südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) und ihre Positionierung im Kampf gegen die Apartheid. In vielen Artikeln scheinen zwei Aspekte durch: zum einen inwieweit Marxismus und Kommunismus als im globalen Norden entwickelte Ideen für andere Regionen adaptierbar waren? Und da macht es keinen Unterschied, ob wir in die 1960er Jahre oder in den Zeitraum 30 oder 40 Jahre vorher blicken. Zum anderen die Frage der Staatwerdung der kommunistischen Bewegung und deren Folgen. So ist es auffällig, dass der Umgang der Sowjetunion mit ihren Republiken für viele kommunistische Bewegungen weltweit und deren TheoretikerInnen als Folie für die mitunter komplexe politische Situation in den Kolonien diente, und brüderliche «Solidarität» der sozialistischen Staatengemeinschaft eher Parteitagsrhetorik blieb, im Alltag vielmehr Interessenpolitik vorherrschte.
Die manchmal nicht sofort zugänglichen Texte machen eine gründliche Lektüre nötig. Wer diese Mühe nicht scheut, und einen zweiten Blick wagt, wird belohnt werden. Es zeigt sich, dass viele Kommunist_innen sehr wohl global dachten, aber diese Ideen, Netzwerke und Praktiken noch relativ unerforscht sind. Hier ist noch einiges, gerade auch für die Gegenwart relevante, etwa zur Idee «internationaler Solidarität», zu entdecken.
Kommunismus jenseits des Eurozentrismus (Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2019), Metropol Verlag, Berlin 2019, 298 Seiten, 29 EUR