Nachricht | Oswalt: Marke Bauhaus 1919-2019; Zürich 2020

Bauhaus – von der Ikone zum Fetisch?

Information

Philipp Oswalt hat ein enorm visuelles Buch vorgelegt. Sein Schwerpunkt sind dokumentierten Bilder, zeitgenössische Schnappschüsse wie historische Faksimiles und Fotografien aus der Geschichte des bauhaus´. Das Buch kann von den 827 farbigen und 127 Schwarzweiß-Abbildungen her gelesen und erschlossen werden, oder entlang der Textpassagen. Oswalt war ab 2009 Direktor der Stiftung Bauhaus in Dessau, die er in dieser kurzen Zeit modernisierte. 2014 wurde sein Vertrag mit dem Land Sachsen-Anhalt nicht verlängert, was damals eine breite Empörungswelle auslöste. In seinen vielen Veröffentlichungen hat er sich stets um eine kritische und reflektierte Sichtweise auf «das Bauhaus» bemüht. Diese Publikation bildet mit ihrem Erscheinen Ende Dezember 2019 so etwas wie den Abschluss des Reigens an Jubiläumsbüchern. Oswalt stellt heraus, dass das Bauhaus schon zur Zeit seiner Existenz vor allem eine «Marke» war, und, das ist spätestens nach 2019 bekannt, selbst dafür sehr viel tat. Er skizziert in diesem Abschnitt nochmals die Geschichte des Bauhaus, und reißt auch einige Tabus an. So war etwa der soziale Wohnungsbau der Ära Gropius (Törten-Häuser) längst nicht so preiswert, wie der nachfolgende in der Ära von Hannes Meyer (Laubengang-Häuser). Meyer habe 1928 dann einen Marken-Relaunch und eine positive «Proletarisierung» des Bauhaus vollzogen, und den von Gropius nur postulierten Anspruch, mit künstlerischen Mitteln Industrieprodukte herzustellen, viel besser als jener realisiert.

Bernd Hüttner ist Referent für Zeitgeschichte und seit 2006 Koordinator des Gesprächskreises Geschichteder Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Nach seiner Schließung wurde «Bauhaus» erst recht eine Marke. Oswalt stellt (nochmals) die gängigen vermachteten Narrative der Bauhausgeschichte und die dafür nötigen Verkürzungen und Auslassungen dar: Gropius bestimmt, Gropius verfälscht, und viele schauen dabei zu. Das deutsche Ansehen in der Welt wurde mit Hilfe «des Bauhaus» wiederhergestellt. Die Marke wurde eine identitätsstiftende Ikone, ein Mythos und war dann (auch) von einer Reliquie nicht (mehr) zu unterscheiden.

Im lesenswerten Schlusskapitel ordnet Oswalt das Bauhaus in die Moderne und die ihr innewohnenden Ambivalenzen ein. So seien z.B. die Avantgarden der 1910er Jahre nicht die Vorhut, sondern eher der (lebensweltliche?) Reparaturbetrieb angesichts des eindeutigen Primats von Ökonomie und Technokratie gewesen. Dass Gestaltung den Anspruch erhebe, Gesellschaft zu transformieren sei vollkommen richtig, dieser aber mit Genie-Kult und handwerklichem Erfahrungswissen nur bedingt umsetzbar (gewesen). Das Bauhaus habe den Fortschritt bejaht und trotzdem den Status Quo kritisiert; und es habe nicht nur eine Idee verfolgt, sondern diese in vielen Feldern unterschiedlich weit umgesetzt. Im Jubiläumsjahr sei es endgültig zum Fetisch geworden; was «das Bauhaus» nun aus kritischer Perspektive bedeute, sei heute offener, wenn nicht unklarer, als vor dem Jubiläum. Also «Das Bauhaus ist tot – es lebe das Bauhaus?»

Das Buch bietet, vom prägnanten Schluss abgesehen, in seinem Textteil vergleichsweise wenig neues. Ob es wirklich stimmt, dass «nicht Funktion und Gebrauch das Bauhaus auszeichnen , sondern Symbolik» wie Oswalt schreibt, vermag die Leserin selbst entscheiden. Ein kleiner Malus ist, dass das Buch über kein Literaturverzeichnis verfügt und die einzelnen Kapitel Endnoten haben. Davon abgesehen, bietet es viele neue und ungewohnte, stellenweise sogar skurrile Momente.

Philipp Oswalt: Marke Bauhaus 1919-2019. Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch; Scheidegger und Spiess Verlag, Zürich 2020, 336 Seiten, 38 EUR, ISBN 978-3-85881-620-7