Elizabeth Otto und Patrick Rössler vereinen in ihrem Aufsatzband Beiträge von vierzehn Autor*innen, die das Bauhaus körpergeschichtlich untersuchen und sich Fragestellungen der Gender Studies widmen. Trotz der Vielschichtigkeit der Themen und der unterschiedlichen Herangehensweisen der Autor*innen ist ein geschlossenes Bild entstanden, da die Aufsätze aufeinander verweisen und stark miteinander vernetzt sind. Während dadurch Wiederholungen vermieden werden, wird in den Untersuchungen eine Tatsache ganz bewusst und sehr eindringlich immer wieder hervorgekehrt: Obwohl im Bauhaus-Manifest die Gleichberechtigung der Geschlechter angedacht war(1), forderte Walter Gropius den Meisterrat dazu auf, nur wenige Frauen am Bauhaus zuzulassen, da er um die Seriosität seiner Einrichtung fürchtete.
Benjamin Voß (Kiel) wurde 1985 geboren. Er veröffentlicht literatur- und kulturwissenschaftliche Studien, theatertheoretische Essays, Erzählungen und wissenschaftliche Rezensionen.
Es verwundert daher nicht, dass in Bauhaus Bodies verstärkt weibliche ‚Bauhäusler‘ untersucht werden. Hervorzuheben ist hier der Aufsatz «Ise Gropius: ‚Everyone Here Calls Me Frau Bauhaus´» von Mercedes Valdivieso. Ise Gropius wird darin als Frau dargestellt, die ganz in der Arbeit ihres Mannes Walter Gropius aufging, aber eben auch gleichberechtigte und einflussreiche Partnerin war.
Die unterschiedliche Wertigkeit der Geschlechter am Bauhaus kann man auf die Formel «maskuline Architektur versus feminine Weberei» bringen. Morgan Ridler stellt daher in «Dörte Helm, Margaret Leiteritz, and Lou Scheper-Berkenkamp. Rare Women of the Bauhaus Wall-Painting Workshop» drei Frauen vor, die sich in der männlich konnotierten Werkstatt für Wandmalerei bewiesen. Leiteritz z.B. brachte dem Bauhaus durch die ‚Bauhaustapete‘ den wohl erfolgreichsten und am besten vermarktbaren Artikel ein. Der gender trouble am Bauhaus wird durch die Untersuchung «Androgyny in Oskar Schlemmer’s Figural Art» von Deborah Ascher Barnstone erweitert. Die geschlechtliche Uneindeutigkeit im Werk Oskar Schlemmers spiegelt sehr stark das geschlechtliche Unbehagen wider, wie es in der liberalen, modernen Gesellschaft der Weimarer Republik vorherrschte und ausgelebt wurde.
In Patrick Rösslers und Anke Blümms Untersuchung «Soft Skills and Hard Facts. A Systematic Assessment of the Inclusion of Women at the Bauhaus» werden neben den hard facts der Studierendenschaft des Bauhauses die Werdegänge von Bauhäusler-Paaren am Beispiel von Marguerite Friedlaender-Wildenhain und Franz Rudolf Wildenhain sowie von Lis Beyer-Volger und Hans Volger dargestellt, denn die starke Gemeinschaft am Bauhaus, die unter den Studierenden vorherrschte, schuf auch eine Art ‚Heiratsmarkt‘.
Sehr auffällig an den Beiträgen ist die kontinuierliche Bezugnahme auf «the early Bauhaus», d.h. die Weimarer Jahre (sieben der vierzehn Aufsätze gehen auf diesen Zeitraum ein), die sehr stark vom Expressionismus beeinflusst wurden. Der Paradigmenwechsel des Bauhauses vom Expressionismus zum konstruktivistischen Rationalismus spielt daher auch in Bauhaus Bodies eine wichtige Rolle. Diese ab 1923 einsetzende Entwicklung wird durch interessante körperliche Aspekte in zwei Aufsätzen dargestellt. Paul Monty Paret analysiert in seiner Studie «Invisible Bodies and Empty Spaces. Notes on Gender at the 1923 Bauhaus Exhibition» die Abbildungen des Ausstellungskatalogs(2) und stellt die Abwesenheit der Student*innen fest, die sich ansonsten sehr gut durch Fotografien dokumentiert haben. Die Werkstätten werden nämlich menschenleer gezeigt (ausgenommen die Werkstatt der Steinbildhauerei, in der man anthropomorph-androgyne Zeichnungen und Figuren Oskar Schlemmers in Szene gesetzt hat). In der Unsichtbarkeit der Studierenden verbirgt sich eine Unsicherheit im Selbstverständnis der Hochschule und der Wunsch, das Bauhaus nach außen hin seriös zu präsentieren. Den Fotografien wohnt etwas Kühles, Strenges und Sachliches inne, eben jene Elemente, die den künftigen Bauhaus-Stil prägen sollten.
1923 ist auch für Gret Palucca ein Jahr der Abkehr vom Expressionismus, denn in jenem Jahr trennte sie sich von ihrer Mentorin Mary Wigman und entwickelte einen neuen, konstruktivistischen Tanzstil. Susan Funkenstein parallelisiert in «Paul Klee and the New Woman Dancer: Gret Palucca, Karla Grosch, and the Gendering of Constructivism» diese künstlerische Weiterentwicklung mit der Entwicklung des Bauhauses, denn Palucca beginnt in dieser Phase Kontakt mit dem Bauhaus aufzunehmen.
Auch die Nachwirkungen des Expressionismus werden thematisiert und lassen sich in einer Reihe von Fotoarbeiten nachweisen, die in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren am Bauhaus entstanden. Karen Koehler spürt ihnen in «Bauhaus Double Portraits» nach und erkennt in diesen Fotografien, die sich durch Verdoppelungen, geisterhafte Erscheinungen und expressive Schattenwürfe auszeichnen, einen Spätexpressionismus der traumatisierten Nachkriegsgesellschaft.
Bauhaus Bodies beinhaltet somit sehr interessante Textbeiträge, die durch zahlreiche Abbildungen ergänzt werden. In ihnen verdeutlicht sich die Aktualität und die Vielschichtigkeit des Bauhauses und es ist erstaunlich, wie zeitlos und modern – trotz der sehr offensichtlichen Ungleichwertigkeit der Geschlechter – diese legendäre Kunsthochschule auch heute noch wirkt.
(1) Walter Gropius: Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar. In: Hans M. Wingler: Das Bauhaus. 1919–1933 Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937. 3., verb. Aufl. Bramsche: Rasch / Köln: DuMont 1975, S. 38–41, hier S. 41.
(2) Der Katalog wurde zum Bauhaus-Jubiläum 2019 als Faksimile erneut herausgegeben. Er stellt eine wichtige Quelle für das frühe Bauhaus dar, vgl. Lars Müller / Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung Berlin (Hrsg.): Staatliches Bauhaus in Weimar. 1919–1923. Faksimile. Zürich: Müller 2019.
Elizabeth Otto / Patrick Rössler (Hrsg.): Bauhaus Bodies. Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism’s Legendary Art School; Verlag Bloomsbury Visual Arts. London 2019, 345 S., 12 Farbabb., 110 S/W-Abb. u. 5 Tabellen. Paperback 23,99 £ (ISBN 978-1-5013-4478-7)
Diese Rezension erschien zuerst in der soeben erschienenen elften Ausgabe der Zeitschrift Expressionismus. Diese hat den Schwerpunkt Väter und Söhne. Expressionismus erscheint halbjährlich im Neofelis Verlag in Berlin