«Kann man Trump überhaupt abwählen?» Gänzlich deprimiert vom Wahlsieg Donald Trumps, stellte ich diese Frage im November 2016 zahlreichen New Yorker Freunden und Bekannten. Meine Sorge war, dass der neu gewählte Präsident nach einem autoritär und offen rassistisch geführten Wahlkampf versuchen könnte, die Demokratie zu untergraben und sich zum Autokraten aufzuschwingen. Meine linksliberalen Bekannten versicherten mir, dass die demokratischen Institutionen und Verfahren in den Vereinigten Staaten stärker seien als dieser autoritäre Emporkömmling. Aber auch die Linken mochten die Frage nicht so recht verneinen, viele wichen schlicht aus («müssen jetzt gegen Trump mobilisieren») und blieben eine Antwort schuldig. In beiden Gruppen gab es überdies naive Hoffnungen auf ein baldiges, erfolgreiches Amtsenthebungsverfahren – das jedoch, was geflissentlich übersehen wurde, immer auf die Unterstützung eines Großteils der republikanischen Senatoren angewiesen sein würde.
Albert Scharenberg leitet das Historische Zentrum Demokratischer Sozialismus. Zuvor war er Leiter des Büros New York der Stiftung.
Jetzt, nachdem der US-Präsident – in Reaktion auf die Proteste gegen die Ermordung von George Floyd durch die Polizei in Minneapolis – mit dem Einsatz des Militärs («tausende und abertausende schwerbewaffnete Soldaten») gegen die eigene Bevölkerung drohte, «die Antifa» zur Terrorgruppe erklärte und auslotete, ob er die Kontrolle über die Polizei in Washington DC selbst übernehmen könne, steht die Frage endgültig auf der Tagesordnung.
Autoritärer Angriff auf die Demokratie
Nun soll hier gar nicht erst der Versuch unternommen werden zu klären, ob Trump denn nun ein Faschist ist oder nicht. Das wird bereits seit Jahren diskutiert, und da stand dann etwa auf «Spiegel Online» zu lesen, dass er ein Faschist sei, während das linke «Jacobin Magazine» das Gegenteil nachzuweisen trachtete. Verkehrte Welt. Offensichtlich hilft diese Diskussion nicht weiter – und das ist im Grunde auch egal, weil es sich um eine Ersatzdiskussion handelt. Denn fest steht, dass Trump Diktatoren beneidet, die sich nicht lange mit demokratischen Regeln herumschlagen müssen. Und fest steht auch, dass er einen harten autoritär-nationalistischen Kurs verfolgt, Rechtsradikale als Bündnispartner versteht und sich einen Dreck schert um demokratische Verfahren und Institutionen.
Trumps Amtszeit lässt sich in diesem Sinne als fortgesetzter Angriff auf die Demokratie deuten, die ohnehin seit Jahren, beispielsweise hinsichtlich der Wahlkampffinanzierung, unter gehörigem Druck steht. Er ist gewissermaßen die Abrissbirne der US-Demokratie: So etwa als er jüngst bewaffnete «Demonstranten» anfeuerte, die das Kapitol des Bundesstaates Michigan besetzten und dessen Parlament auf diese Weise in die Flucht schlugen. Oder mit Blick auf all die Entlassungen unbotsamer Beamter, von FBI-Direktor James Comey über Justizminister Jeff Sessions bis zu Generalinspekteur Steve Linick, und deren Ersetzung durch getreue Vasallen. Hinzu kommen seine Angriffe auf den Rechtsstaat und auf politische Konkurrenten. Bereits 2016 drohte er seiner Kontrahentin Hillary Clinton in einer Fernsehdebatte mit dem Gefängnis, auf seinen Wahlveranstaltungen erscholl daraufhin regelmäßig der Ruf «Lock her up!» (Sperrt sie ein!). Und bekanntlich hatte Trump zuletzt versucht, den ukrainischen Präsidenten – und damit eine ausländische Regierung – zu Ermittlungen gegen seinen Kontrahenten Joe Biden zu bewegen. Aber selbst diesen Schritt verteidigten Trumps republikanische Hofschranzen im Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten.
Und dennoch gibt es einen Silberstreifen am Horizont, denn Trumps jüngste Volte ist zwar autoritär, aber kein Zeichen der Stärke. Im Gegenteil: Seit Wochen zeigen alle Umfragen, dass Biden in landesweiten Erhebungen weit, teilweise gar um zehn Prozent, vor Trump liegt. Seit Beginn derartiger Erhebungen hat überhaupt noch nie ein Herausforderer wenige Monate vor der Wahl so weit vor dem Amtsinhaber gelegen, wie derzeit Biden vor Trump. Auch in den sogenannten Battleground States – jenen umkämpften Staaten, die aufgrund der Eigenarten des US-Wahlsystems letztlich darüber entscheiden werden, wer Präsident wird – sehen die Umfragen Biden vorn.
Das führt unmittelbar zurück zu der Frage, ob Trump abgewählt werden kann. Die kurze Antwort ist eindeutig: Wenn heute die Wahl anstünde, würde der Präsident abgewählt. Und falls sich nichts Einschneidendes ändert in den nächsten Monaten, dürfte Trump am 3. November abgewählt werden.
Das aber weiß natürlich auch Donald Trump. Und je schlechter die Umfragewerte für ihn ausfallen, desto mehr schlägt er um sich und desto rabiatere Methoden wählt er, um seine Abwahl doch noch zu verhindern. Der Präsident setzt dabei vor allem auf zwei Mittel: zum einen die Anzahl der Wahlberechtigten und die Wahlbeteiligung massiv zu reduzieren, und zum anderen das Land ins Chaos zu stürzen, so dass die Lage unübersichtlich und der Ruf nach einem «starken Mann» immer lauter wird.
Kampf den Wahlberechtigten
Das Wahlsystem in den USA unterscheidet sich ganz wesentlich vom deutschen; so gibt es etwa kein Verhältniswahlrecht. Ein ganz wesentlicher Unterschied ist auch, dass Wählerinnen und Wähler sich vor der Wahl registrieren müssen – wer das nicht tut, steht am Wahltag nicht auf den Wählerlisten.
Donald Trump weiß sehr wohl, dass eine hohe Wahlbeteiligung den Demokraten nützt und den Republikanern schadet. Ende März gab er das in seiner Lieblingssendung «Fox & Friends» auch ganz unumwunden zu: Wenn die Teilnahme an Wahlen erleichtert werde und die Wahlbeteiligung substanziell steige, «würde in diesem Land nie wieder ein Republikaner gewählt werden», erklärte der Präsident.
Deshalb streben die Republikaner bereits seit Jahren danach, erstens die Zahl der registrierten Wählerinnen und Wähler möglichst klein zu halten und zweitens die Wahlbeteiligung zu senken. Bereits bei den letzten Präsidentschaftswahlen war rund ein Drittel der Wahlberechtigten nicht registriert; dieser Anteil soll so weit wie möglich ausgedehnt werden. Dabei wird regelmäßig die – nachweislich falsche – Behauptung ins Feld geführt, dass es darum ginge, «Wahlbetrug» zu vermeiden. Und so versuchen die Republikaner in vielen Bundesstaaten, die Wählerlisten zu «säubern», das heißt Menschen schlicht von den Listen zu streichen, oftmals mit Erfolg.
Mit Blick auf die Wahlbeteiligung wollen die Republikaner außerdem verbindlich festschreiben, dass Wähler an den Urnen ein amtliches Dokument mit Foto vorlegen müssen – was gerade Angehörige von Minderheiten, die ganz überwiegend demokratisch wählen, vor Probleme stellt. Dasselbe Ziel verfolgen immer enger gefasste Regeln, wann man wo wählen kann – auch dies für viele Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer ein Problem, da in den USA nicht an Sonntagen, sondern an Arbeitstagen gewählt wird.
Besonders umkämpft ist derzeit die von den Demokraten angestrebte Ausweitung der Briefwahl. Das Argument der Demokraten, die Corona-Pandemie könne Menschen aus Angst vor Ansteckung davon abhalten, an die Wahlurnen zu gehen, wird absichtsvoll übergangen, die Republikanische Partei versucht mit allen juristischen Mitteln, die Ausweitung der Briefwahl (die der Präsident für sich selbst gern in Anspruch nahm) zu verhindern.
Diese Instrumente sollen eine Abwahl Trumps so weit wie möglich erschweren, aber sie können diese doch nicht gänzlich ausschließen. Deshalb ventiliert der Präsident zugleich die Behauptung, dass der Wahlausgang zu seinen Ungunsten manipuliert werden könne. «Er hat alles getan, damit seine Unterstützer Wahlergebnissen nicht trauen», meint die Politikwissenschaftlerin Sheri Berman. «Sein andauerndes Gerede über Wahlbetrug sorgt dafür, dass die Menschen eher glauben werden, etwas sei nicht mit rechten Dingen zugegangen, wenn das Wahlergebnis im November nicht in seinem Sinne ist.» (Zit. nach Deutsche Welle: Briefwahl in den USA: Misstrauen groß, Betrugsrisiko klein, 28.5.2020, dw.com/de)
Das Gerede vom Wahlbetrug beinhaltet die Drohung, dass der amtierende Präsident das Ergebnis, insbesondere wenn es knapp ausfallen sollte, nicht akzeptieren könnte. Ausgang ungewiss.
Präsident des Chaos
Dieses Szenario verweist bereits auf das zweite Mittel, das Trump einsetzt, um seine derzeit schlechten Wahlchancen zu verbessern: nämlich das Land ins Chaos zu stürzen. Dazu hat sein Agieren in der Corona-Krise unfreiwillig beigetragen. Die hohen Todeszahlen, der massive Wirtschaftseinbruch und die horrende Arbeitslosigkeit schüren die Unsicherheit und lassen die Armut explodieren. Die Corona-Krise mag die «Stunde der Exekutive» sein, wie vielerorts behauptet wird. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass erwiesenermaßen unfähige Regierungen an Zustimmung einbüßen. Genau das ist in den USA der Fall: Manch eine Bürgerin zieht bereits heute den Schluss, dass das Ausmaß der Krise nicht zuletzt dem katastrophalen Missmanagement des Weißen Hauses geschuldet ist. Das aber kann Trump inzwischen so wenig korrigieren wie er Empathie heucheln kann.
Daher versucht der Präsident, die Proteste und Unruhen in der Folge der Ermordung von George Floyd für sich zu nutzen. Denn er weiß sehr wohl, dass auf einen Aufstand der Schwarzen in den USA noch immer ein Backlash der Weißen folgte: Sehen sie Bilder von Aufruhr und Plünderungen, kippt die Stimmung im weißen Amerika ins Autoritäre. Es war ein solcher Backlash, der einst Richard Nixon ins Weiße Haus spülte; hier hat Trump Witterung aufgenommen. Dies ist der Grund, warum er sich, nach einigem Hin und Her, als martialischer «Law-and-Order-Präsident» und «starker Mann» inszeniert, der allein in der Lage sei, den Plünderungen und Unruhen Einhalt zu gebieten. Dafür droht er mit dem Einsatz des Militärs im Inneren, und dafür lässt er friedliche Demonstranten gewaltsam auseinandertreiben, um sich mit der Bibel in der Hand vor einer Kirche ablichten zu lassen.
Ob diese Rechnung aufgeht, steht allerdings in Frage. Sollte Trump weiter an Zustimmung einbüßen, dürfte ihn keine Manipulierung der Wählerlisten und kein Chaos mehr im Amt halten. Sofern es dem Präsidenten aber gelingt, den Abstand wieder zu verringern, wird die Abstimmung, bei der Trump zur Wahl steht, noch ungemütlich werden – und zwar bis weit über den 3. November hinaus.