Als junger Filmstudent reiste Can Candan 1991 nach Berlin und interviewte die dortigen türkischen Migrant*innen über ihren Eindruck zum Mauerfall. Was dabei herauskam ist ein einzigartiges Zeitdokument der Wendezeit: eine Studie des Mauerfalls aus migrantischer Perspektive.
«Duvarlar – Mauern – Walls»
2000. 84 Minuten.
(Türkisch, Deutsch, Englisch)
Can Candan
Regisseur - Produzent
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Obwohl zum Zeitpunkt seines Filmes «nur» das Pogrom von Hoyerswerda bereits stattgefunden hatte und das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, die mörderischen Brandanschläge von Mölln und Solingen und die Abschaffung des Asylrechts erst noch kommen würden, bestechen die Statements der Interviewten durch ihre scharfsinnige Analyse, die zu dieser Zeit in dieser Klarheit niemand zu formulieren imstande war. Und sie verweisen auf den hohen Politisierungsgrad in den migrantischen Communities am Ende der 1980er Jahre – eine Erfahrung, die mit dem Fall der Mauer in Vergessenheit geriet.
Fast alle Interviewten berichteten von ihrer Freude, als sie hörten, dass die Grenze nach Ostberlin geöffnet wurde. Viele junge türkische und andere migrantische Jugendliche und Erwachsene zogen zum Brandenburger Tor, um die Ostdeutschen zu begrüßen und das Ende des kalten Krieges zu feiern. Binnen weniger Tage, oftmals nur Stunden, wurde ihnen aber klargemacht, dass es nicht ihre Party sei, die da gefeiert werde – sie wurden beschimpft, bedroht und vertrieben. Die Wiedervereinigung entpuppte sich als ein nationaler Taumel, der sich von der ersten Minute an über einen aggressiven Reflex gegen «Ausländer» entlud. Dieser bis heute weder verstandene noch verarbeitete Konnex von nationaler Freude und rassistischem Hass wird in Duvarlar augenscheinlich: Die Mauer fiel den Migrant*innen auf die Füße – sie war ein Angriff auf ihre unmittelbare Existenz in Deutschland.