Seit fast 15 Jahren existiert mit «Aus den Akten – auf die Bühne» an der Universität Bremen ein erfolgreiches Projekt des «forschenden Studierens» in den Geschichtswissenschaften. Unter Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros(Lehrbeauftragte an der Uni Bremen) und Sigrid Dauks (Leiterin des Universitätsarchivs) werden historische Sachverhalte recherchiert, aufbereitet und in verschiedenen Formaten dokumentiert und präsentiert. Namensgebende Besonderheit dieses Projekts einer Public History ist es, dass Peter Lüchinger (bremer shakespeare company) aus den Quellen szenische Lesungen montiert, die von professionellen SchauspielerInnen aufgeführt werden. Die Studierenden haben die Möglichkeit in den Bereichen Archiv, Wissenschaft und Vermittlung tätig zu werden und Erfahrungen zu sammeln. Im März ist nun (endlich) der wissenschaftliche Begleitband zum Projekt 2017erschienen, das sich dem Thema «Berufsverbote» widmete..
Nur einige Wochen nachdem Willy Brandt im Dezember 1971 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, verabredete er mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, zukünftig BewerberInnen für den öffentlichen Dienst strenger auf die Verfassungstreue zu überprüfen und ggf. die Einstellung (und auch Verbeamtung) zu verweigern. In Folge wurde, so die von Conrad Taler 1976 genannten Zahlen, über 450.000 BewerberInnen überprüft, 235 davon wurde der Zutritt zum Staatsdienst verwehrt. Jenseits der vergleichsweise wenigen Fälle, die in der Regel auch großes öffentliches Interesse auf sich zogen, hatte diese Regelung vor allem disziplinierende Wirkung und verbreitete schlicht Angst unter einer ganzen intellektuellen Generation. Mussten sich doch viele fragen, ob ihr politisches Engagement beruflich nachteilige Folgen für sie haben würde. Zumal die Situation in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt und durch Gerichtsurteile noch verkompliziert wurde. Reichte in einen Fall die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei für eine Nichtzulassung aus, musste andernorts dafür eine aktive Betätigung vorliegen.
Im Buch werden neun Fälle aus Bremen ausführlich dargestellt. Diese sind durch Verwaltungsakten im Staatsarchiv und durch weitere Quellen gut dokumentiert und einige, der ja meist in den 1940er Jahren geborenen Betroffenen engagierten sich als ZeitzeugInnen. Sieben durchweg lesenswerte Aufsätze ordnen die Bremer Vorfälle in einen weiteren Rahmen ein (Dominik Rigoll, Alexandra Jaegerund das zeithistorische Dokument von Conrad Taler aus dem Jahr 1976) bzw. stellen die Verhältnisse in Bremen allgemeiner vor. Anja Hasler zeichnet das widersprüchliche Verhalten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nach, die teilweise vom Berufsverbot Betroffene nicht etwa unterstützte, sondern ausschloss. Hier kam es in Bremen, wie in Berlin zu einer Besonderheit, indem sich eine Gruppe, die für den sog. Radikalenerlass war, von der GEW abspaltete und so in Bremen drei Jahre lang von 1973-75 zwei Landesverbände der GEW existierten.
Eine Chronik rundet den Band ab, der durch die vielen Dokumente eine Vielzahl von Textsorten bereithält. Er ist eine vorbildliche Aufarbeitung eines Abschnittes der Bremer Stadtgeschichte, der sich so oder ähnlich zumindest auch in den SPD-regierten Bundesländern abgespielt haben dürfte. In den CDU-CSU regierten Bundesländern wurde der Radikalenerlass strenger und noch lange angewendet, in Bayern geschieht dies im Grunde bis heute. In Bremen wurden als erstem Bundesland die Regelungen per Beschluss 2011 aufgehoben.
Anfang 2022 jährt sich der Beginn des «Radikalenerlass» zum 50. Mal.
Sigrid Dauks/Eva Schöck-Quinteros/Anna Stock-Mamzer (Hrsg.): Staatsschutz, Treupeflicht, Berufsverbot. (K)Ein vergessenes Kapitel der westdeutschen Geschichte, Bremen 2021, 436 Seiten, 18 EUR (ISBN 978-3887227579, Bezug über Universitätsbuchhandlung)
Im Moment gibt es an den Universitäten Heidelberg (zu Baden-Württemberg, Laufzeit 2018-2021) und Hildesheim (zu Schulen 1967-1989, Laufzeit 2019-2022) zwei Forschungsprojekte zum Thema. Aus der Forschung in Heidelberg liegt bereits ein Zwischenberichtvor. Alexandra Jaeger hat in ihrer Dissertation (Wallstein Verlag, Göttingen 2019) die Praxis in Hamburg von 1971 bis 1987 untersucht. Jaeger hat in einer weiteren Buchpublikation 2020 die Ergebnisse ihrer Forschungen zu den Unvereinbarkeitsbeschlüssen in der GEW Hamburg in den 1970er Jahren vorgelegt (Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2020). Veröffentlicht ist seit 2018 auch der Abschlussbericht einer vom Landtag Niedersachsen einberufenen Kommission zu «Berufsverbote in Niedersachsen 1972-1990».
Aktuelles und weitere Informationen zu Berufsverboten gibt es auf http://www.berufsverbote.de/.