Zu den «Antideutschen» gibt es bisher keine umfassende Untersuchung. Deswegen soll dieser Sammelband als ein erster, wenngleich parteiischer Zugang vorgestellt werden, der sich dem Phänomen derjenigen Strömung widmet, die sämtliche Nahost- und Antisemitismusdebatten der vergangenen Jahre mitbestimmte und zum Teil auch dominierte.
Sie sind bekannt aus der linksradikalen Szene, als Besucher*innen wie auch Störer*innen von Veranstaltungen und Demonstrationen, die immer schwere Vorwürfe im Munde führen: Antisemitismus, Antiamerikanismus, Volksgemeinschaft oder Barbarei. In der traditionellen Linken stoßen sie bei ihren Interventionen meist auf bloßes Unverständnis; viele nehmen ihre «antideutsche Ideologie» (Robert Kurz) als kruden Mix aus abgrenzungsfixiertem Identitätswahn, bürgerlichem Wohlstandschauvinismus, blinder Israel- und US-Apologie und als «Alles-antisemitisch-außer-wir-Ressentiment» wahr.
Aber diese Antideutschen sind nicht vom Himmel gefallen, und nicht alles, was sie sagen, entbehrt eines rationalen Kerns. Am Anfang ihrer Geschichte stand unter anderem eine Kritik an bestimmten Erscheinungsformen des linken Antizionismus beispielsweise in den K-Gruppen, der seine Nähe zum Antisemitismus oft kaum verbarg. An ihrem Anfang stand auch die linke Erschütterung über den nationalen Taumel der Deutschen in den Jahren 1989/1990, dem auch viele ehemalige Linke erlagen. Und da waren nicht zuletzt die Erfahrungen mit der großen Welle rassistischer Gewalt in den Folgejahren des Anschlusses der DDR. Diese und andere Phänomene zu Zeiten des Zusammenbruchs des Realsozialismus hatten notwendigerweise Veränderungen und Reflexionsprozesse auch in der Westlinken zur Folge. Wieso aber vollzogen einige letztlich einen affirmative turn und bildeten obskure Politsekten, die am Ende gar mit den imperialen Mächten der Welt zum Krieg bliesen?
Das im Unrast Verlag erschienene Buch erläutert das Phänomen der Antideutschen aus genau diesen zwei Perspektiven. Es geht den Autor*innen sowohl um die guten Gründe für das Entstehen der Antinationalen (wie sie in den 1990er Jahren meist genannt wurden) oder Antideutschen als auch um die Frage nach dem Umschlag ihrer Kritik ins Reaktionäre.
Streckenweise ist das Selbstanalyse, hatte doch ein Großteil der Autor*innen ursprünglich einen gewissen Anteil am Phänomen. Die Bewertung einiger Autor*innen spiegelt denn auch die derzeitige Haltung in der radikalen Linken wider, die zwischen (impliziter) Anerkennung bestimmter antideutscher Topoi und einer generellen Kritik pendelt. Und die Antideutschen haben zweifelsohne ihre Spuren in Sprache, Politik und Wahrnehmungsmustern der Linken hinterlassen. Ein Beitrag, der diese bleibenden Wirkungen der Antideutschen untersuchen würde, fehlt im Buch allerdings ebenso wie die angekündigten Analysen zu ihrer Zukunft.
Umso interessantere Betrachtungen gibt es zur Vergangenheit dieser Strömung. Besonders der mit 50 Seiten Umfang auch quantitativ dominierende Beitrag von Bernhard Schmid ist aufschlussreich und höchst lesenswert. Er macht die personellen, organisatorischen und ideologischen Wandlungsprozesse deutlich, die in den unübersichtlichen Wendejahren zur Gründung antideutscher Initiativen, insbesondere aus dem Umfeld des Kommunistischen Bundes, führten, am Ende zu einer «Deutschlandreise auf die Bahamas» (Bahamas ist der Name der radikalsten antideutschen Zeitschrift) wurden und aus einem Produkt der Linken eine «neo-autoritäre Sekte» (Schmid) machten.
Die anderen Beiträge widmen sich Einzelaspekten des Phänomens. Markus Mohr und Sebastian Haunss zeigen, warum die Antideutschen bei den Autonomen so viel Anklang finden: Weil sie ebenso moraltriefende Identitätsangebote liefern, wie diese sie schon immer mochten. Auch Michael Koltan macht in einem schwer genießbaren Aufsatz die Selbstreferentialität einer Gruppenidentität, der Linke besonders in Zeiten ihres Niederganges und gesellschaftlicher Irrelevanz immer wieder erliegen würden, zum Erklärungsansatz. Gegen den antideutschen Dogmatismus betont er: «Ob man Maoist oder Sponti war, hatte wenig objektive Gründe, sondern hing von biographischen Zufällen ab.» Eine Einsicht, die selten mitgedacht wird, wenn von antideutscher Seite «Basisbanalitäten» definiert werden, die nicht diskutabel seien.
Interessant sind auch die Versuche, die Antideutschen in Kontexte zu setzen, die sie selbst vielleicht nicht so direkt für ihre Politik in Anspruch nehmen würden, an denen sie aber kräftig mitbasteln, nämlich die neue Mobilmachung des deutschen Imperialismus und eine neue Kriegslust (Wolf Wetzel), die auch in der Mainstream-Presse geführten, teils offen rassistischen Diskurse um den sogenannten Islamofaschismus und den «Kampf der Kulturen» (Gazi Caglar) sowie den neoliberalen Individuumskult (Holger Schatz). Diese Texte zeigen auch, welche eigentlich immer noch wichtigen Elemente linker Analyse von den Antideutschen teilweise aus dem Diskurs ausgeschlossen wurden. Man denke nur an die Opfer der gut geheißenen Kriege, zum Beispiel im Irak, die anders als in Großbritannien der Linken hierzulande oft kaum bekannt sind (Wolf Wetzel). Man denke nur an die tatsächlichen Differenzen zwischen sozialen Klassen (Detlef Hartmann), aber auch an die Rolle der realen Supermacht USA, deren Politik von radikalen Linken kaum mehr verfolgt und kritisiert wird, da diese mit der Kritik des Antiamerikanismus bereits ausgelastet ist.
Dem steuert unter anderem Holger Schatz entgegen, der, wenn man sich erst einmal durch den schwer verdaulichen Anfang seines Textes gekämpft hat, eine dialektische Sicht auf die Frage nach dem abstrakten oder personalen Charakter von Herrschaft entwickelt und der sich eine Freiheit des Menschen nur als kollektive Freiheit als Garant für die individuelle vorstellen kann. Dieses Emanzipationsverständnis steht aber dem antideutschen entgegen, welches monadischen Individalismus predigt und emanzipatorische gesellschaftliche Veränderungen schon dadurch ausschließt, dass jedwede Form der Kollektivität unter Generalverdacht gestellt wird. Der Herausgeber des Bandes nimmt selbst in seinem Beitrag einen weiteren, auf Antideutsche zurückgehenden Allgemeinplatz radikaler Linker unter die Lupe: War links-deutsche Positionierung im Nahostkonflikt Ausdruck revisionistischer und antisemitischer Bedürfnisse? Die Antwort lautet: ja und nein. Er zeigt, dass antiimperialistische Identifikation mit den Palästinenser*innen und antideutsche Identifikation mit Israel nicht weit auseinanderliegen.
Leider ist das Buch mit heißer Nadel gestrickt, Lektorat und Korrektorat gab es wohl nicht. Nur wenige der Texte (zum Beispiel die von Bernard Schmid und Gerhard Hanloser) nehmen ihre Leser*innen bei der Hand, beispielsweise durch verständliche Einleitungen, die es leicht machen, dem Aufbau der Argumentation zu folgen.
Hanloser, Gerhard (Hrsg.): «Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken.» Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik, Münster 2004: Unrast Verlag (292 S.).
Die Besprechung erschien erstmals im Juli/August 2005 in der Zeitschrift Utopie kreativ.