Die Arbeitnehmerkammer Bremen wird im Juli 1921 gegründet, und legt aus diesem Anlass eine von ihr in Auftrag gegebene «Festschrift» vor, die ihre eigene Geschichte und die Vorgeschichte seit den 1880er Jahren erzählt. Chronologisch unterteilt in sechs Kapitel wird die Entwicklung dieser der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften nahestehenden Einrichtung(en), juristisch heute eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, aufgefächert.
Arbeiter- bzw. Arbeitnehmerkammern gibt es in dieser Form, außer im Bundesland Bremen, noch in Österreichund, als Arbeitskammer, im Saarland. Die Bremer Gründung ist eine Folge der Novemberrevolution, bzw. der Bemühungen, die in ihr Ausdruck findenden Forderungen der ArbeiterInnen einzuhegen. Die nach einer «Arbeiterkammer» hatte es erstmals 1888 gegeben, und von 1899 bis 1905 ist Friedrich Eberterster Sekretär des Arbeitersekretariats, eines funktionalen Vorläufers.
In Bremen existieren zwei Kammern parallel: Arbeiterkammer und Angestelltenkammer, was gelegentlich zu Verwerfungen zwischen den ihnen führt. Aufgabe beider ist aber die Politikberatung durch Expertise(n) und Stellungnahmen, die juristische Beratung aller ArbeiternehmerInnen und zusehends die kulturelle und politische Bildung.
1936 werden die Kammern von den Nazis aufgelöst und im Sommer 1945 dann sofort wiedergegründet. Streitpunkt damals bis heute ist die Finanzierung der Kammern aus einer Abgabe, die jede_r in Bremen Arbeitende zu zahlen hat, da er und sie durch das Arbeitsverhältnis Mitglied der Kammer(n) ist. Arbeitslose sind ebenfalls Mitglied, und haben damit Anspruch auf Beratung. CDU und Liberale nennen diese gesetzliche Regelung «Zwangsmitgliedschaft».
In der beginnenden Strukturkrise der klassischen Industrien steigt die Arbeiterkammer immer mehr in den Bereich Bildung und vor allem Umschulungen ein und expandiert, durch Mittel des Arbeitsamtes und auch der EU, ungemein. Ab 1975 gibt es in Bremen ein Bildungsurlaubsgesetz, was dazu führt, dass die Kammern die größten Anbieter von Bildungsurlaub sind - und zwei große, eigene Bildungszentren im Umland betreiben. Bereits 1971 wird mit der frisch gegründeten, (damals) relativ linken Universität Bremen die Kooperation Universität - Arbeiterkammer (KUA) gegründet. Die KUA ist die bundesweit erste richtige, das heißt mit Personal und Etat ausgestattete Kooperation dieser Art. Eine fruchtbare zudem, da nun Themen wie z.B. Arbeitsbeziehungen, Arbeitslosigkeit, Gesundheitsschutz auch wissenschaftlich untersucht und die Ergebnisse publiziert, und z.B. wieder in die Bildungsarbeit eingespeist werden. Aus dieser Kooperation ist neben dem Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) auch das Zentrum für Arbeit und Politik (zap), ehemals Akademie für Arbeit und Politik, hervorgegangen, die beide bis heute arbeitnehmerorientierte Wissenschaft an der Universität betreiben. Zu Beginn 2001 fusionieren die Arbeiterkammer und Angestelltenkammer dann zur heutigen Arbeitnehmerkammer, 2017 betrug der Jahrestat 19 Millionen EUR.
Der Band ist sehr ansprechend gestaltet und modern illustriert. Er gibt einen guten Einblick in einige Aspekte der Sozial-, Wirtschafts- und Politikgeschichte Bremens, wenn auch aus der (Binnen)Perspektive der Kammern und ihres Politikansatzes der Interessenvertretung und Sozialpartnerschaft.
Arbeitnehmerkammer Bremen (Hrsg.): 100 Jahre für eine gerechte Arbeitswelt, Bremen 2021, 239 Seiten, Schutzgebühr 25 EUR