Friedrich Burschel spricht mit dem Regisseur von «Je suis Karl» Christian Schwochow über die Entstehung des Films sowie seine Aktualität und darüber, welchen Beitrag er dabei im Diskurs leisten kann. Zum Film hat Friedrich Burschel eine Rezension veröffentlicht, die sich stärker mit Inhalt und Relevanz des Films auseinandersetzt.
Friedrich Burschel: Der rechte Terrorismus ist mit dem neuen Film nicht das erste Mal ihr Thema, Herr Schwochow. Schon beim ARD Dreiteiler zum NSU Komplex haben Sie den Teil über die Täter mit dem Titel «Heute ist nicht alle Tage» gemacht. Inwieweit ist das Ihr Thema?
Christian Schwochow: Ich habe bereits sehr früh angefangen mich mit Rechten zu beschäftigen – in all ihren Facetten. Da ich kein Praktikum beim Film bekam zog ich nach Berlin, um beim Fernsehen ein Volontariat zu machen. Durch die journalistische Arbeit stieß ich auf verschiedene rechte Subkulturen. Dabei fiel mir auf, wie sich rassistische und extreme Positionen hinter bestimmten oft harmloseren Subkulturen verstecken. Als dann aber der NSU aufflog und Beate Zschäpe sich stellte, bewegte das etwas und ich wusste sofort, das geht mich etwas an, damit muss ich mich beschäftigen.
Gerade der NSU Komplex, das Netzwerk drumherum hat mich beschäftigt und das wollte ich erzählen. Gleichzeitig den Rassismus in unserem Land und in den Institutionen beleuchten – um es nicht nur auf die rechte Bewegung und ihre Netzwerke zu beschränken.
Als Thomas Wendrich und ich dann mit unseren Recherchen zum Ende unserer Arbeit kamen, hatten wir viel Erschreckendes gesehen und gelernt. Und eigentlich konnten wir nicht aufhören zu recherchieren, immer wieder fielen uns Verbindungslinien auf.
Gleichzeitig schauten wir uns genau an, welche Organisationen und Bewegungen es in der rechten Szene gibt, wie diese sich verändert haben und wie sie u.a. von vielen linken Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty kopiert und gelernt haben. Sie sind cooler geworden, ihre (An)Sprache ähnelt der von Fridays for Future. Selbst progressive Musik, wie HipHop haben sie für sich entdeckt und nutzen das in eine Breite und mit zum Teil großer Professionalität.
Vieles, das wir gesehen haben oder recherchierten war erschreckend. Wir waren uns aber auch schnell einig, dass das erzählt werden muss: und zwar für ein großes Publikum. Ich wollte einen Film, der mitreißend, spannend und nicht für Expert*innen gemacht ist - sondern auch für junge Menschen attraktiv ist.
Friedrich Burschel: An «Je suis Karl» haben Sie ja schon länger gearbeitet. Sonst könnte man tatsächlich den Eindruck bekommen, sie haben sich an dem Fall von Franco Albrecht orientiert, also dem Bundeswehroffizier, der sich als Asylsuchender verkleidet hat und versuchen wollte, als Geflüchteter Anschläge unter «false flag» zu verüben. Damit bediente er quasi dieses Bedürfnis einen Tag X herbeizuführen, an dem der Bürgerkrieg losbrechen soll, an dem zu den Waffen gegriffen wird - die Vorstellung der faschistischen «White Supremacists» (Anhänger des Glaubens an die Überlegenheit der «weißen Rasse»)….
Sind diese Entwicklungen der Grund, weswegen sie den Film gemacht haben oder holt die Realität ihren Film im Grunde gerade ein?
Christian Schwochow: Letzteres zu 100 Prozent!
Die ersten Überlegungen zu «Je suis Karl» trafen wir vor sechs Jahren. Damals dachten wir nach der Arbeit am NSU Komplex, wir hätten etwas begriffen über die Neue Rechte und wir denken das jetzt mal weiter. Und dann wurde Trump Präsident der Vereinigten Staaten, das Attentat am Breitscheidplatz passierte, aber auch die rechten Terrorangriffe in Halle, Hanau oder das «Auffliegen» von Franco A.. Wir wissen, dass die Liste der Dinge, die in den letzten Jahren geschehen ist noch weiter zu führen wäre. Die Realität holte unseren Film so schnell ein, dass aus unserer geplanten Dystopie sehr schnell das wurde, was wir hier und jetzt erleben.
Deswegen sind wir froh, dass der Film jetzt da ist, weil er zeigt, wo eine Gesellschaft ganz schnell hingeraten kann.
Friedrich Burschel: Jetzt ist ein ganz wesentlicher Teil des Films ja auch die Darstellung dieser von Ihnen vorher schon geschilderten Jugend-Bewegung, einer rechten, faschistischen Jugendbewegung und es ist eine ästhetische Explosion, die da stattfindet. Also das ist ja warm, mitreißend, musikalisch, subkulturell interessant und so weiter: Dadurch drängen sich die Parallelen zur Identitären Bewegung (IB) auf. Die Frage ist: Wie attraktiv ist denn diese Szene für junge Menschen? Ist die rechte Szene auf europäischer Ebene ein Anziehungspunkt für junge Menschen geworden?
Christian Schwochow: Ich fürchte ja. Sie orientieren sich stark an Greenpeace – nur eben auf der Grundlage rechter Ideologie: Ich möchte daran erinnern, wie sie ein Schiff charterten, um dann im Mittelmeer zu versuchen Menschen auf der Flucht abzudrängen. Begleitet von einer Social-Media-Kampagne, schickem Logo und Claim. Rechter Eventcharakter, der Attraktivität ausstrahlt.
Als Linke müssen wir uns das ansehen und ernstnehmen und auch stark hinterfragen, warum das so gut funktioniert. Im Film habe ich diese Attraktivität zum Beispiel auch durch die Musik versucht herzustellen. Rechte sind sie nicht mehr so stumpf und monoton, wie es oft noch in unseren Köpfen verankert sind. Die rechte Szene ist «bunter» geworden und auch oft nicht mehr erklärbar. Auch die AfD hat eine homosexuelle Fraktionsvorsitzende im Bundestag, die mit einer nicht-weißen Frau in einer Partnerschaft lebt und gleichzeitig genau gegen dieses Familienbild Politik macht.
Diese Ambivalenzen gilt es in den Blick zu nehmen.
Und ich hoffe, dass der Film auch in Richtung links eine Provokation darstellt: Nehmt die Leute ernst und bewerft sie nicht einfach. Versucht nicht, sie ins Lächerliche zu ziehen, sondern nehmt sie ernst, weil sie klüger sind, als wir sie haben wollen.
Friedrich Burschel: Was kann denn so einen Film wie Ihrer in der gesellschaftlichen Situation, in der wir sind, tatsächlich leisten und wo sind die Grenzen von fiktionaler Darstellung im Film? Also wenn wir jetzt den gesellschaftlichen Diskurs anschauen.
Christian Schwochow: Wo die Grenzen sind, will ich gar nicht sagen. Ich hoffe, dass der Diskurs jetzt überhaupt erstmal losgeht. Die neue junge und politisierte Generation macht mir Hoffnung. Der Film bietet die Möglichkeit, über Rassismus, rechten Terror aber auch die eigene Verführbarkeit ins Gespräch zu kommen. Ich wollte keinen Film machen, der einfach «nur» Nazis zeigt, sondern der dazu führt, sich als Zuschauer*in zu hinterfragen: wo bin ich manipulierbar, wo haben sich auch bei mir in den letzten Jahren Dinge nach rechts verschoben, wie demokratisch denke ich oder gibt es ggf. auch rechte Parolen, die ich inzwischen doch unterschreiben würde?
Und da die Rechten es geschafft haben, unsere Diskurse bis weit in die Mitte von rechts zu bestimmen und zu lenken, soll der Film auch Zündstoff sein, so einige linke Gewissheiten auch zu überprüfen.
Friedrich Burschel: Der Film zeigt auf beeindruckende und beklemmende Weise, was Terror anrichtet und mit den Opfern dieser Art von Gewalt macht. Der einmal wieder unglaublicher Milan Peschel treibt den Schmerz als Hinterbliebener des mörderischen Anschlags an die Schmerzgrenze. Aber auch die Verletzlichkeit und Verführbarkeit von Betroffenen in der von Luna Wedler dargestellten Person lässt einem die Haare zu Berge stehen. Wie wichtig ist Ihnen diese «Opferperspektive»?
Christian Schwochow: Die ist ganz wichtig! Hier in diesem Film wird Maxi, die Protagonistin, ein zweites Mal Opfer. Das ist ein kühn gewähltes Element, aber die Idee dahinter ist zu zeigen, wie angreifbar meine Haltung ist, wenn ich schwach, traumatisiert bin, wenn mir etwas Wichtiges genommen wurde.
Der Effekt ist, dass es für Maxis Verhalten vielleicht sogar eine Rechtfertigung geben kann. Aber wie stehe ich zu Karl und seiner Manipulation - ich, der Zuschauer, der kein traumatisches Erlebnis hat?
Friedrich Burschel: Am Ende gibt es den Täter, der sich «für die Sache» opfert, im Grunde einen Selbstmordattentäter von rechts. Diese Bereitschaft, sich zu opfern, taucht auch aktuell bei Aussagen von Angeklagten im «Gruppe S»-Prozess in Stuttgart-Stammheim auf. Aber verknüpft ist das Bild des*der Selbstmordattentäter*in mit islamistischen Anschlägen weltweit. Inwieweit sehen Sie Parallelen zwischen faschistischen Anschlägen «weißer Überlegenheitsgläubiger» und dschihadistischer Attentäter: ist das «alles Faschismus, oder was?», wie eine Veranstaltungsreihe der RLS neulich betitelt war.
Christian Schwochow: Der Film erzählt vom Missbrauch und vom Umdeuten und Kapern fremder Ideen für die eigene Sache. Und auch davon, dass Fanatismus grenzenlos sein kann. Er nimmt die Selbsttötung ins Kalkül, weil er sich damit unsterblich macht – eine Grundidee z.B. vieler Dschihadisten. Ich habe in den letzten Jahren begriffen, dass Menschen, die diese Weltordnung erschüttern wollen, bereit sind dafür alles zu tun.
Friedrich Burschel: Wenn Sie die jüngst zunehmende, am Schluss noch von Ex-US-Präsident Donald Trump befeuerte Hetze gegen «die Antifa» anschauen, zunächst in den USA, aber jetzt auch eigentlich überall in Europa und insbesondere auch in Deutschland, eine Dämonisierung einer jugendlichen antifaschistischen Bewegung: Was raten Sie jungen Menschen, die sich gegen rechts engagieren wollen? Und vor allen Dingen, ja, wie sollen Sie sich zur Antifa stellen?
Christian Schwochow: Ich bin immer dafür sich gegen rechts zu engagieren. Ich finde es daher wichtig, dass man sich Gruppen anschließt oder Gruppen gründet, in denen Diskurse geführt werden. Mir ist unglaublich wichtig festzustellen, dass erfolgreiche Politik nicht nur durch Wut gelingen kann. Aus diesem Grund sind mir stärkere inhaltliche Auseinandersetzungen, auch mit den Gegner*innen, wichtig. Es braucht Antworten drauf, wie ich mich dieser verbalen rechten Hetze entgegenstellen kann.
«Je suis Karl. Wir erklären euch den Krieg.» von Christian Schwochow mit Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, Edin Hasanovic, Anna Fialová und Aziz Dyab; Deutschland 2020, Länge: 126 Minuten. Kinostart: 16.9.2021. Zum Trailer