Kommentar | COP26 - Klimagerechtigkeit Mehr als nur heiße Luft?

Eine erste Einschätzung zum Glasgower Klimagipfel

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Klimaprotestmarsch mit Regenbogen Foto: Katharina Gübel

Die COP26 musste hohen Erwartungen gerecht werden: Die wissenschaftlich nachgewiesene Klimakrise macht nicht nur die Begrenzung der Erderwärmung dringend erforderlich, sondern auch eine Eindämmung der negativen Auswirkungen für diejenigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Was wir jedoch zu hören bekommen haben, waren Versprechen und Kompromisse, winzige Zugeständnisse, die manche Länder als große Errungenschaften dargestellt haben. Natürlich gab es in einigen Punkten kleine Fortschritte, doch die Regierungen haben es versäumt, sich tatsächlich für angemessene Klimaschutzmaßnahmen und Gerechtigkeit in der internationalen Klimapolitik einzusetzen. Auch der Zugang zu den offiziellen Verhandlungen der COP26 war ungerechter denn je: Viele Delegationen und Aktivist*innen des globalen Südens fehlten in Glasgow.

Dabei hätte es für die Verhandelnden zahlreiche Gelegenheiten gegeben, sich hervorzutun, um die multilaterale Klimapolitik zu stärken. Sie hätten zum Beispiel auf die Forderung der Länder des globalen Südens nach angemessenen und sachgerechten Finanzhilfen für die Verluste und Schäden eingehen können, die die Klimakrise schon jetzt in verschiedenen Regionen hervorruft. Der Druck der sozialen Bewegungen und des globalen Südens hatte klimabedingte Schäden und Verluste (Loss and Damage) zu einem wichtigen Thema gemacht, obwohl es nicht offiziell auf der politischen Agenda des Gipfels stand. Kleine Fortschritte gelangen bei der Einigung über die Aufgaben und die Finanzierung des Santiago-Netzwerks zum Thema (Santiago Network on Loss and Damage). Dieses wurde 2019, gegründet um wirtschaftlich schwächere Länder, die von Klimakatastrophen betroffen sind, technisch zu unterstützen und existiert bislang vor allem auf dem Papier. Das Glasgower Klimaabkommen geht jedoch nicht auf die Forderungen der Entwicklungsländer und der Zivilgesellschaft nach einer eigenen Institution für Klimaschäden und Verluste ein, die mit ausreichenden Mitteln ausgestattet wäre.

Auch die Erhöhung der Anpassungsfinanzierung konnten die Verhandlungsparteien nicht genau beziffern. Die reichen Länder haben eingeräumt, das versprochene Ziel verfehlt zu haben, den Entwicklungsländern bis 2020 pro Jahr gemeinsam 100 Milliarden US-Dollar für Anpassung und Minderung bereitzustellen. Dabei verschwiegen sie jedoch, dass 70 Prozent der Klimafinanzierung nicht als Zuschüsse fließen, sondern in Form von Darlehen oder Investitionen. So wächst die Schuldenlast der Länder des globalen Südens. Auch wenn man sich auf der COP26 darauf geeinigt hat, die Höhe der Anpassungsfinanzierung zu verdoppeln, bleibt unklar, ob tatsächlich zusätzliche Gelder fließen werden oder einfach Mittel aus der auch eher unterfinanzierten Entwicklungshilfe oder humanitären Hilfen umdeklariert werden. Ein neues kollektives Ziel zur längerfristigen Klimafinanzierung, das ab 2025 umgesetzt werden könnte, wurde im Klimapakt von Glasgow nur vage formuliert.

Die Abschlusserklärung der Klimakonferenz betont die Notwendigkeit, die globalen CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2010 um 45 Prozent, sowie weitere Treibhausgase, tiefgreifend zu reduzieren, damit die Erderwärmung die 1,5-Grad-Marke nicht überschreitet. Wenn man sich die Verpflichtungen der einzelnen Länder gemäß ihren national festgelegten Beiträgen (NDCs) ansieht, werden die Treibhausgasemissionen bis dahin jedoch um 16 Prozent zunehmen, was die Erde laut wissenschaftlichen Berechnungen bis 2100 um 2,4 Grad gegenüber vorindustriellen Werten erhitzen würde. Konsequentes Handeln wurde in die Zukunft verschoben.

In Deutschland ist es nicht anders: Die neue Regierung scheint in zentralen Bereichen keine wirksamen Maßnahmen ergreifen zu wollen, wie sich insbesondere in den Bereichen Verkehr und Wärmeversorgung zeigt. Die Bundesrepublik hat dann auch die Gemeinsame Erklärung des Rats zum Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen (Zero Emission Vehicle Transition Council) in Glasgow nicht unterzeichnet und damit ein Ende des Verkaufs von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bis 2035 abgelehnt. Insgesamt fehlt Deutschland eine Strategie, wie der Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft sozial gerecht gestaltet werden könnte – die Ausnahmen für die Industrie sind hingegen bereits detailliert ausgearbeitet.

Mit dem Abschluss der Verhandlungen zum Artikel 6, welcher die Rolle der Emissionsmärkte in der Klimapolitik definiert – und damit auch der Finalisierung des Pariser Regelwerks – sollen einmal mehr Marktinstrumente Kohlenstoffemissionen «regulieren». Die Beschlüsse über marktwirtschaftliche und nicht-marktwirtschaftliche Instrumente sind unscharf und im Detail unbestimmt. Man feierte zwar einerseits, dass die neuen Maßnahmen eine doppelte Anrechnung von Emissionsgutschriften verhindern sollen und auch einen – eher marginalen – Bezug zu Menschenrechten sowie sozio-ökologischen Schutzmaßnahmen sind enthalten. Aber andererseits könnten die Formulierungen noch Schlupflöcher aufweisen, die netto zu höheren Emissionen führen.

Die COP26 in Glasgow war im Vorfeld als «Netto-Null-Konferenz» angepriesen worden und die britische COP-Präsidentschaft drängte Regierungen und Unternehmen auch dazu, «Netto-Null-Emissionen bis 2050» zu versprechen. Die Zivilgesellschaft hat diese überspitzte Formulierung hinterfragt und entlarvt, dass sie in Teilbereichen jahrzehntelanges ‚business as usual‘ ermöglicht und in hohem Maß auf Emissionshandel setzt, statt auf tatsächliche Veränderungen hinzuwirken, um Treibhausgase komplett zu vermeiden.

In den zwei Wochen in Glasgow wurden mehrere interessante Initiativen vorgestellt, unter anderem die Gemeinsame Erklärung der USA und Chinas zur Verstärkung der Klimaschutzmaßnahmen oder die Initiative zur Verringerung von Methangasemissionen. Beide sind jedoch weder verbindlich noch ist klar, wie ihre konkrete Umsetzung aussehen könnte.

In der abschließenden Verhandlungsrunde wurde deutlich, dass keine der Parteien mit dem vereinbarten Text durchweg zufrieden war. Der finale Beschluss nennt zwar Schlüsselkonzepte wie ‚Just Transition‘ - den gerechten Übergang zu einer fossilfreien Zukunft-  und erwähnt auch zum ersten Mal in einem Abschlussbericht einer COP explizit die fossilen Brennstoffe. Doch der genaue Wortlaut wurde in der allerletzten Minute entschärft. Indien erntete Kritik, weil es statt des geplanten «Ausstiegs» aus der Kohle («phaseout») eine stufenweise «Verringerung» der Kohlenutzung («phasedown») forderte. Diese Forderung sollte aber auch im größeren Zusammenhang der Verteilungsgerechtigkeit betrachtet werden: Indien verursacht noch immer sehr geringe Pro-Kopf-Emissionen und verzeichnet zugleich eine hohe Armutsquote. Zudem sieht der Glasgower Klimapakt keine zusätzlichen Hilfeleistungen vor, die die Entwicklungsländer in der Transition von der Kohle zu umweltfreundlicheren Energiequellen mit Investitionen unterstützen würden. Angesichts der fehlenden finanziellen Mittel und der Verteilungsungerechtigkeit, die es reichen Ländern ermöglicht, eine Umschichtung oder die Bereitstellung von Finanzmitteln zu vermeiden, stellt sich die Frage, wie angemessen und gerecht die Formulierungen des Glasgower Klimapakts zu fossilen Brennstoffen wirklich sind.

Die Enttäuschung über das Ergebnis, insbesondere vonseiten der Zivilgesellschaft, zeigte sich auch deutlich an den Klimademonstrationen in und vor dem Konferenzzentrum. In Glasgow und auf der ganzen Welt wurde protestiert, um die Regierungen zu mehr Klimaschutzmaßnahmen zu drängen. Die Fridays-for-Future-Demonstrationen und der globale Aktionstag für Klimagerechtigkeit brachten Zehntausende auf die Straßen von Glasgow. Auf dem von der COP26-Koalition organisierten People‘s Summit for Climate Justice kamen Menschen zusammen, um gemeinsam über klimagerechte Lösungen zu diskutieren. Sie berichteten von ihren Erfahrungen und Geschichten, teilten Wissen und sprachen über Visionen für einen feministischen globalen Green New Deal. Die Solidarität und das Bewusstsein über den Ernst der Lage waren spürbar und machten den People’s Summit zu einem wichtigen Raum für alternative Ansätze, die einen tatsächlichen Systemwechsel herbeiführen sollen.

Es wird sich zeigen, ob die Entscheidungen der COP26 in die Tat umgesetzt werden. Bis dahin ist es wichtig, dass wir als Zivilgesellschaft weiterhin die Anliegen von denen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, zur Sprache bringen und weiter für Klimagerechtigkeit kämpfen.

In diesem Sinne werden wir bald einen detaillierten Bericht über die Ergebnisse der COP26 veröffentlichen – und darüber, wie es weitergehen könnte.

Übersetzung von Claire Schmartz und André Hansen für Gegensatz Translation Collective