Nachricht | Geschichte Ein widerspenstiger Grenzgänger

Der Bremer Erwachsenenbildner und Historiker Jörg Wollenberg wird 85 Jahre

Information

Jörg Wollenberg bei einem Vortrag in der Gedenkstätte Ahrensbök 2016

Professor Jörg Wollenbergs Thema ist die Bedeutung von Bildung für die Arbeiterbewegung. Immer wieder mahnt er die Wichtig-, wenn nicht Notwendigkeit von Bildung für Politisierungs- und Organisierungsprozesse der Linken an. Dazu gehört unabdingbar auch historisches Wissen. Zu diesen Fragen hat er umfangreich publiziert, immer wieder selbst Bildungsarbeit geleistet und als unermüdlicher Organisator ebensolche Bildungs-Prozesse (Ausstellungen, Programme der Erwachsenenbildung usw.) angeregt – und umgesetzt.

Geboren wird Wollenberg am 30. Januar 1937 in Ahrensbök im ländlichen Schleswig-Holstein nahe Lübeck. Nach dem Studium in Hamburg und Göttingen promoviert er 1975. Er pflegt seit seinem Studium enge Verbindungen zu verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung, jahrelang ist er als Teamer in ländlichen Heimvolkshochschulen und in Einrichtungen der Gewerkschaften tätig. Die Volkshochschule der Stadt Bielefeld leitete er von 1971-1978, für die Leitung des Bildungszentrums in Nürnberglässt er sich 1985-1992 von der Universität Bremen beurlauben. Dort war er von 1978 bis 2002 Professor für Weiterbildung (mit dem Schwerpunkt politische und Arbeiterbildung).


Lernen aus verpassten Chancen?


In Bielefeld, Bremen und Nürnberg initiierte er etliche Forschungs- und Bildungsprojekte zur Geschichte der Arbeiterbewegung, führte Oral History-Projekte durch und dokumentierte deren Ergebnisse in vielfältigen Publikationen. Die Vermittlung von (historischem) Wissen durch politische Bildung (etwa durch szenische Lesungen und z.B. in Bremen durch zwei große, seinerzeit in den 1980ern sehr umstrittene Ausstellungen) ist ihm ein Anliegen.

Immer wieder gilt sein Interesse neben den großen Strömungen (SPD, KPD, Gewerkschaften) und historischen Themen (Shoa, Spanischer Bürgerkrieg, Weltkriege, Exil), den unbekannten Randfiguren, den Grenzgängern und Zwischengruppen, etwa dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), der nicht zufällig großen Wert auf Theorie und antifaschistische Aufklärung und damit auf Bildung legte. Zu vielen bekannten Veteranen der Weimarer Zeit, wie etwa Walter Fabian(1902-1992) oder Wolfgang Abendroth (1906 - 1985), hat er noch persönliche Kontakte, lädt sie ein und publiziert über sie. Personen wie Peter von Oertzen(1924-2008) oder Arno Klönne(1931-2015) sind seine generationelle Kohorte. Er erinnert an Theodor Lessing(1872-1933), Franz L. Neumann(1900-1954) und andere ExilantInnen. Genauso thematisiert er den antifaschistischen Widerstand unbekannter ArbeiterInnen im Rahmen von Geschichtswerkstättenund der Bewegung «Geschichte von unten». Institutionell ist er ein Netzwerker: Er hat Kontakt zu ehemaligen SPD-Bürgermeistern bis hin zu alten KPO-Mitgliedern.

Schließlich, zum Ende seines beruflichen Lebens, ist er, in seinem Geburtsort, Mit-, wenn nicht Hauptinitiator der Gedenkstätte Ahrensbök. Diese ist «ein Lernort, an dem an Beispielen aus der Region Anfang, Alltag und Ende der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 thematisiert» werden sollen.

Ob Jörg Wollenberg selbst ein Grenzgänger ist, sei dahingestellt. Er ist – als stets unabhängiger Linker - ein begnadeter Netzwerker, schaut von der Universität in die Gesellschaft und kooperiert mit vielen AkteurInnen (Gewerkschaften, Volkshochschulen, Antifa-Verbänden, linken Parteien, Zeitschriften und Verlagen).

Das Leben und das Werk von Jörg Wollenberg erinnern an den reichhaltigen Erfahrungsschatz der Arbeiterbewegung, einen Schatz, auf den immer wieder hingewiesen und der auch gepflegt werden muss. Es erinnert auch an die Wichtigkeit der Vermittlung dieser Traditionen. Diese Tradition muss immer wieder neu und in Konfrontation mit der Tagespolitik durchdacht – und praktiziert – werden.

Auswahl von Publikationenbeim Personen-Eintrag auf wikipedia. Publikationenvon Wollenberg in der Deutschen Bibliothek.


Literatur

Arno Klönne/Karl A: Otto/Karl Heinz Roth (Hrsg.): Fluchtpunkte. Das soziale Gedächtnis der Arbeiterbewegung, mit einem Geleitwort von Hans Koschnick, Hamburg 2003 (Band zur Tagung 2002 aus Anlass seiner Emeritierung)

Krieg der Erinnerungen – von Ahrensbök über New York nach Auschwitz und zurück. Eine Spurensuche. Band 1, Sujet-Verlag, Bremen 2017; Die andere Erinnerung – Spurensicherung eines widerständigen Grenzgängers. Band 2, Sujet-Verlag, Bremen 2017 [zwei Bände mit Texten von Wollenberg)