Die 1898 in Wien geborene Friedl Dicker-Brandeis ist eine der wenigen bekannten weiblichen Bauhaus-Schüler_innen. In Erinnerung bleibt sie auch, weil sie Ende 1942 in das KZ Terezín (Theresienstadt) deportiert und dann im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet wird. Das Lentos Museum in Linz/Österreich widmet ihr jetzt eine große Ausstellung (Video). Das dazugehörige Katalogbuch dokumentiert den aktuellen Stand der Forschung zum Leben und Werk der Kunstpädagogin, Malerin und Designerin.
Friedl Dicker besucht früh eine Kunstgewerbeschule und macht eine Ausbildung als Fotografin. Sie lernt in Wien bei Johannes Itten (1888-1967) und gehört zu der Gruppe, die mit ihm im Herbst 1919 an das neugegründete Bauhaus in Weimar geht. Insgesamt vier Jahre wird sie am Bauhaus sein. Danach arbeitet sie kurz in Berlin und geht dann wieder zurück nach Wien. Von 1926 bis 1931 betreibt Dicker mit Franz Singer, ebenfalls Bauhaus-Schüler in Wien als kreatives Team ein erfolgreiches Büro für Architektur und Innenarchitektur, das Atelier «Singer-Dicker». Kommunistin ist sie ab 1931/32. Im Juni 1933 muss sie nach Prag fliehen, nachdem sie im Herbst 1932 einige Wochen wegen in ihrer Werkstatt gefundenen Materialien zur Passfälschung im Gefängnis verbracht hat. In Prag engagiert sie sich im antifaschistischen Exil. 1936 heiratet sie ihren Cousin Pavel Brandeis, nicht zuletzt um die tschechische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Die beiden müssen jedoch Prag verlassen und leben in der nordböhmischen Provinz. Ein Angebot nach Palästina auszuwandern schlägt Dicker-Brandeis aus. Im KZ Terezín unterrichtet sie dann unermüdlich die dort inhaftierten Kinder. Ihr Mann überlebt Auschwitz und stirbt 1971. Aus Theresienstadt sind 5000 Kinderzeichnungen überliefert, die Mehrzahl von ihnen aus den von Dicker-Brandeis durchgeführten Kursen. Sie sind im Jüdischen Museumin Prag archiviert.
Sehr viele der Arbeiten von Dicker-Brandeis sind heute erhalten, was die Auseinandersetzung mit ihr sehr erleichtert. Die Publikation zeigt nicht nur im umfangreichen Bildteil (S. 132-241) die Vielfalt der Arbeiten des Multitalents: Zeichnungen, Malerei, Fotomontagen, Innenausstattungen für Wohnungen und Gewerbe, Textilarbeiten. Sie schildert ebenso ausführlich die wechselhafte Biografieder Künstlerin – und nimmt in den Texten immer wieder Bezug zum kunstpädagogischen und dann in den Monaten in Terezín kunsttherapeutischen Denken und Handeln der Künstlerin.
Das Lentos Museum hat mit der Ausstellung und der Publikation dazu beigetragen, dass diese Künstlerin gewürdigt – und ihre Leistungen für Kunst, Pädagogik und Politik nicht in Vergessenheit geraten. Die Ausstellungim Lentos Museum ist noch bis 29. Mai 2022 geöffnet. Ab 20. November ist sie dann in Warschau (mehr) zu sehen.
Hemma Schmutz/Brigitte Reutner-Doneus (Hrsg.): Friedl Dicker-Brandeis. Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin; Hirmer Verlag, München 2022, 252 Seiten, dt./engl., 150 Abbildungen in Farbe, 39,90 Euro