Als Lyonel Feininger 1919 an das neugegründete Bauhaus in Weimar berufen wird, ist er bereits 48 Jahre alt. Bekannt in dem Zusammenhang ist er vor allem als Gestalter des Deckblattes des Bauhaus-Manifestes. Der 1871 in New York geborene ist aber auch derjenige , der von allen Bauhausmeistern am längsten am Bauhaus tätig ist.
Die neue chronologisch angelegte Biographie des FAZ-Literaturredakteurs Platthaus legt den Schwerpunkt auf die Zeit des Ersten Weltkrieges und des Nationalsozialismus, vor allem also die bisher relativ unerforschte Zeit in Feiningers Leben, in der dieser nicht am Bauhaus war. Platthaus bietet hier neues, wenn auch für den sehr beliebten Bauhaus-Lehrer stellenweise wenig Schmeichelhaftes.
Feiningerkommt 1887 nach Deutschland, weil er ursprünglich Musiker werden will. Er wird genau 50 Jahre in Deutschland bleiben, das Ehepaar Feininger geht 1937 in die USA, alle drei Söhne leben zu diesem Zeitpunkt schon im Ausland. Die letzten 19 Jahre seines Lebens verbringt der Künstler wieder in seinem Geburtsland, er stirbt Anfang 1956 in New York. Feininger habe sich allerdings, so eine der Thesen des Buches, im einen Land jeweils dem anderen zugehörig gefühlt. Juristisch war seine US-Staatsangehörigkeit von Vorteil, so musste er weder in den Ersten Weltkrieg ziehen, und er konnte relativ leicht aus Nazi-Deutschland ausreisen. So bleibt ihm die Erfahrung der Kriegstraumatisierung, wie sie etwa, so Platthaus, Otto Dix oder Max Ernsterlebten, erspart, vom «sinnlosen» Kriegstod (wie er etwa August Macke, Franz Marc oder Hermann Stennerereilte) gar nicht zu reden.
Feininger arbeitet in Deutschland zuerst jahrelang als Karikaturist und Illustrator, gehört schließlich zum Umkreis der Galerie Sturm, den Höhepunkt seiner Karriere erreicht er 1931, als das Folkwang Museumeine Ausstellung zu ihm veranstaltet (S. 216). Sein wichtigster Beitrag zur künstlerischen Strömung des Expressionismus sind seine Holzschnitte. Ende 1944 hat er eine große Ausstellung im Museum of Modern Art in New York, wo ein Viertel seiner vielen gezeigten Werke zum Verkauf steht.
Ergänzt und vertieft wird das umfangreiche Buch durch drei längere Exkurse zu Personen aus dem Umfeld Feiningers: Alois Schardt, Galka Scheyer und Marguerite Friedländer. Schardt(1889-1955) ist ab 1926 Direktor des Museums Moritzburg in Halle und einer der Förderer von Feininger. Er wird zwar 1933 Mitglied der NSDAP, aber trotzdem abgesetzt. Schardt ist einer derjenigen, die versuchen den Nazis den Expressionismus als nordisch und damit «arisch» anzudienen. Dass dieses Vorhaben scheitert, führt auch dazu, dass Schardt nach wenigen Monaten seinen Posten als Direktor der Nationalgalerie in Berlin verliert - und 1939 in die USA flieht. Dort lebt bereits seit 1924 schon Galka Scheyer(1889-1945). Sie zieht 1930 an die Ostküste und wird 1931 US-Staatsbürgerin. Sie hat es sich zur selbstgesetzten Aufgabe gemacht, die Kunst der klassischen Moderne aus Deutschland in den USA bekannt zu machen, sie hält Vorträge und verkauft auch Bilder, vor allem der vier Künstler der 1924 gegründeten Gruppe Die Blaue Vier: Kandinsky, Klee , Jawlensky und Feininger. Letzterer setzt sie sofort vor die Tür, als er selbst wieder in die USA kommt, die anderen drei sterben zwischen 1940 und 1943. Friedländer(1896-1985) wiederum ist Keramikerin am Bauhaus Weimar (bei Gerhard Marcksin der Außenstelle in Dornburg) und eine Freundin von Feininger. Sie geht bereits 1933 in die Niederlande und 1940 in die USA, wo sie eine sehr wichtige und berühmte Keramikerin wird.
Diese umfassende Biografie zeigt auch die weniger schönen Seiten von Feininger, als naiven, egozentrischen und unpolitischen, wenn nicht phasenweise deutschnational denkenden (S. 76) Menschen. Es ist bei ihm wie bei vielen Künstler*innen: Das Werk und die Bedingungen seines künstlerischen Tuns steht bei ihm an erster Stelle (S. 289), alles andere hat sich dem unterzuordnen. Statt sich mit den Veränderungen in Deutschland vor und nach 1933 auseinanderzusetzen, flieht er lieber monatelang in die gewohnte Sommerfrische, nach Deep an der Ostsee. Im Frühjahr 1936 hat er in Berlin noch eine Ausstellung zu seinem 65. Geburtstag. Seine zweite Frau Julia(die beiden lernen sich 1905 kennen) unterstützt ihn lebenslang ganz klassisch und managt (dadurch) seinen Erfolg, merkt aber als Jüdin früher, dass die Zeit in Deutschland endlich ist. Feiningers erste Ehefrau Clara(*1879) wird von den Nazis im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet, seine Töchter aus erster Ehe überleben, aber, so Platthaus, Feininger unternimmt seitdem er in Amerika ist, nichts, um Angehörige zu retten oder auch nur ihre Flucht anzuregen (S. 372).
Platthaus zeigt neue Aspekte im Leben und Selbstverständnis Lyonel Feiningers auf, alleine deswegen ist sein Buch die Lektüre wert.
Andreas Platthaus: Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens; Rowohlt Verlag, Berlin 2021, 448 Seiten, 28 EUR