Nachricht | Grafikdesign und Neue Typographie; Göttingen 2022

Gesammelte Werbegrafik der 1920er und 1930er Jahre aus dem Netzwerk von Jan Tschichold

Information

Der 1902 geborene Jan Tschichold gehört zu den bedeutendsten Designern der Moderne und gilt als Pionier des funktionalen Grafikdesigns, der sogenannten «Neuen Typographie». Seine persönliche Kollektion mit typografischen Musterbeispielen aus der Zwischenkriegszeit, die er in seinem Unterricht wie in seinen Veröffentlichungen einsetzte, übergab er schon 1936 dauerhaft der Schule für Gestaltung in Basel, an der er seinerzeit lehrte. Tschichold war bereits im Juli 1933 gezwungen, ins Exil zu gehen, er stirbt schliesslich 1974 in der Schweiz, wo er seit seiner Flucht fast durchgehend gelebt hatte.

Mirjam Brodbeck ist die Leiterin der Bibliothek für Gestaltung Basel, die eine Institution der Schule für Gestaltung Basel ist. Zusammen mit dem produktiven und engagierten Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler (Uni Erfurt) hat sie nun ein Buch herausgeben, das eine Auswahl von über 300 wichtigen Arbeiten aus dieser Sammlung des deutsch-schweizerischen Typografen dokumentiert. Sie umfasst Arbeiten anderer, durchweg männlicher Gestalter, von ihm selbst sind keine in der Sammlung enthalten, diese waren 1936 nicht Gegenstand des Ankaufs gewesen.

Innerhalb eines europäischen Netzwerks zusammengetragen, enthält diese damals sogenannte «Vorbilder-Sammlung» insgesamt rund 1.500 kleinformatige Drucksachen. Sie seien aber, so die beiden HerausgeberInnen, eher ein «Sammelsurium», da sie nicht systematisch gesammelt oder kuratorisch aufgebaut worden seien. Vertreten sind berühmte Gestalter aus dem Bauhaus-Umfeld wie Laszlo Moholy-Nagy und Herbert Bayer, ebenso Künstler wie Kurt Schwitters und El Lissitzky – allesamt Pioniere des modernen Grafikdesigns.

Rössler und Brodbeck zeigen im Hauptteil des Buches (S. 38-353) erstmals eine Auswahl aus diesem Bestand und präsentieren ihn beispielhaft in großformatigen Abbildungen, versehen mit zusätzlichen, teilweise umfangreichen Erläuterungen zu Gegenstand und Person. Sie ermöglichen somit das Studium der Originale, die die Aufbruchsstimmung jener Epoche greifbar machen und die in Tschicholds Büchern meist nur in schwarz-weiß oder in stark veränderter Farbgebung abgebildet sind. Abgeschlossen wird der wertige Band mit einer briefmarkengroßen Dokumentation aller circa 1500 Arbeiten aus der Sammlung, so dass auf einer Buchseite circa 40-50 Arbeiten abgebildet sind.

Der preiswerte Band setzt die Reihe mit Publikationen zu diesem Aspekt der europäischen Avantgarden fort1, er fokussiert sich auf ein Kapitel das dann die global wirksame grafische Tradition des sog. «Swiss Style» der Nachkriegszeit der 1950er und 1960er Jahre unmittelbar beeinflusste.

Patrick Rössler und Mirjam Brodbeck: Revolutionäre der Typographie. Gesammelte Werbegrafik der 1920er und 1930er Jahre aus dem Netzwerk des Buch- und Schriftgestalters Jan Tschichold, 1500 farb. Abb. Wallstein Verlag, Göttingen 2022, 400 Seiten, 29 Euro

1 Allein von Rössler (mit)herausgegeben erschienen in den letzten Jahren u.a. Neue Typographien / New Typographies. 100 Jahre funktionales Grafikdesign in Deutschland; Wallstein Verlag, Göttingen 2018 und Jan Tschichold – ein Jahrhunderttypograf? Blicke in den Nachlass; Wallstein Verlag, Göttingen 2019.

Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift Forum Wissenschaft, Heft 3/2022.