Kommentar | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Verteilungskrise Wirken die Gas- und Strompreisbremsen?

Bestandsaufnahme und Bewertung der staatlichen Entlastungspakete

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Uwe Witt,

Mann trägt T-Shirt mit der Aufschrift: «Ich halte Christian Lindner nicht mehr aus»
«Ich halte Christian Lindner nicht mehr aus» Armutsbetroffen in Berlin, Demonstration am 15.10.2022, Foto: IMAGO / IPON

Mit dem neuen Jahr greifen die Anfang Dezember letzten Jahres im Bundestag verabschiedeten Gas- und Strompreisbremsen. Wie sie funktionieren, hatten wir zuvor anhand der Referentenentwürfe beschrieben, sie wurden mit den dort analysierten Werten beschlossen.

Zur Erinnerung: Die Bundesregierung bildete zur Finanzierung der Gas- und Strompreisbremsen einen «Wirtschaftstabilisierungsfonds» (WSF) über 200 Milliarden Euro («Doppelwumms»). Mit dieser Summe wurde auch die Rettung strauchelnder Gasimporteure, wie Uniper, finanziert. Die beiden Bremsen schreiben drei vorausgegangene Entlastungspakete fort. Sie umfassten nach Angaben der Bundesregierung bereits ein Volumen von 135 Milliarden Euro, so dass sich die Gesamtkosten der Entlastungsmaßnahmen im Zeitraum 2022 bis 2024 auf 335 Mrd. Euro belaufen könnten.

Uwe Witt ist Referent für Klimaschutz und Strukturwandel bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Abwehrschirm wird wohl nicht ausgeschöpft

Aufgrund der überraschend stark gesunkenen Gas- und Strompreise am Großhandelsmarkt (warmer Winter, erfolgreiche Gaseinsparungen) wird jedoch wahrscheinlich ein Teil der Mittel nicht in Anspruch genommen werden. Der Klima- und Energiejournalist Malte Kreuzfeldt, ein solider Datenanalyst, schätzt in einer Überschlagsrechnung auf Twitter im Januar 2023, dass die für die Gaspreisbremse eingestellten Haushaltsmittel in Höhe von 40 Milliarden Euro zumindest in diesem Jahr wohl nur zur Hälfte ausgeschöpft werden müssen.

Aus finanzieller Sicht hat die Koalition also fraglos enorme Mittel mobilisiert. Ein Grund, warum Szenarien nicht eintrafen, nach denen das reale Bruttoinlandprodukt 2022 bei Wegfall russischer Gaslieferungen trotz Ersatzbezugs um fünf oder gar über zwölf Prozent hätte einbrechen können. Tatsächlich wuchs es preisbereinigt um 1,9 Prozent. Allerdings betrug im Dezember 2022 die Inflationsrate 8,6 Prozent. Preistreiber waren vor allem die Energiepreise, gegen die die Bundesregierung mit den Energiepreisbremsen gegensteuert.

Architektur der Preisbremsen legt Mängel

Die Architektur der beiden Preisbremsen legt jedoch zahlreiche Mängel hinsichtlich Datenverfügbarkeit und Transfermechanismen offen. Sie führten unter anderem dazu, dass bei der Gaspreisbremse hilfsweise auf historische Haushaltsverbräuche ausgewichen, also pauschalisiert werden musste, anstatt Haushaltsgrößen, Einkommen oder energetische Gebäudestandards zu berücksichtigen. Dies stellt nun tendenziell wohlhabende Haushalte bei den Hilfen besser als solche mit geringem Einkommen (vergleichbar auch bei der Strompreisbremse).

Im Rahmen der Gaspreisbremse erhalten die Haushalte und Klein- und Mittelunternehmen (KMU) bis April 2024 ein Grundkontingent von 80 Prozent des durchschnittlichen Vorjahresverbrauches zum ermäßigten Preis von 12 Cent je Kilowattstunde (Ct/kWh), für Fernwärme gilt ein Deckel von 9,5 ct/kWh. Die Erstattung durch den Gasversorger für das komplette eingesparte Volumen erfolgt allerdings in Höhe des neuen, meist höheren Gaspreises, also im Falle von Gas nicht nur in Höhe von 12 Ct/kWh. Wer 20 Prozent spart, zahlt damit für die verbrauchten 80 Prozent weniger als 12 Ct/kWh. Ähnlich die Strompreisbremse: Haushalte und kleinere Unternehmen erhalten 80 Prozent ihres Vorjahresverbrauchs zu einem garantierten Bruttopreis von 40 ct/kWh. Für Verbräuche oberhalb dieses «Basis-Kontingents» gilt der höhere (Markt-)Preis. Ähnliche Regeln wurden für die Industrie aufgestellt.

Wer bereits sparte, zahlt drauf

Pakete werden für die Mehrheit dieses Jahr für Entspannung sorgen, sparen doch viele Haushalte unter der schwebenden Preisknute und wegen des vergleichsweise milden Winters schon jetzt in 15 bis 20 Prozent Gas und Wärme ein. Problematisch bleibt es dennoch für jene Haushalte, die bereits in der Vergangenheit die Heizung herunterdrehen mussten, etwa weil sie wenig Einkommen beziehen, aber noch nicht unter jene Transferleistungs-Bezieher*innen fallen, bei denen der Staat die Wärmekosten übernimmt (und die Pauschale dafür erhöht hat). Benachteiligt werden auch Menschen, die in besonders schlecht gedämmten Häusern leben bzw. aus Gründen des Alters oder der Gesundheit mehr Wärme brauchen. Sie alle werden besondere Mühe haben, nun 20 Prozent Gas einzusparen. Schaffe sie es nicht, rutschen sie mit einem Teil ihres Verbrauchs in jenen teuren Bereich, indem dem der Marktpreis zu zahlen ist.

Unberücksichtigt bei der Gaspreisbremse blieb der als Prüfauftrag an die Bundesregierung formulierte Vorschlag der «ExpertInnenkommission Gas und Wärme» in ihrem Abschlussbericht, eine Obergrenze für das subventionierte Grundkontingent einzuziehen. Sie sollte – wie oben angedeutet, aufgrund fehlender Daten für gezieltere haushaltsspezifische Unterstützungen – verhindern, dass beispielsweise reiche Hausbesitzer mit hohem Luxusverbrauch im Wärmebereich ebenfalls 80 Prozent ihres bisherigen Gaskonsums für 12 statt 22 ct/kWh beziehen können.

Wohlhabende kommen besser weg, als geplant

Ohne eine solche Obergrenze wäre dann nur ein Instrument wenigstens ansatzweise in der Lage gewesen, die Gaspreisbremse ein wenig ökologischer, zielgenauer und gerechter gemacht zu machen, also weg von der Gießkanne zu kommen: die schon von der ExpertInnenkommission vorgesehene Abschöpfung des geldwerten Vorteils der Gaspreis-Subvention über die Einkommenssteuer bei Gutverdiener*innen. In Gesetzesentwürfen waren dabei Freibeträge des zu versteuernden Einkommens in Höhe von 75.000 Euro als Einzelperson bzw. 150.000 Euro bei zusammenveranlagten Ehegatten zu finden. Tatsächlich beschlossen wurde im Dezember im Jahressteuergesetz aber nur eine Abschöpfung analog zur seit 2021 deutlich gestutzten Solidaritätsabgabe. Sie berührt nur noch sehr hohe und höchste Einkommen (rund 90 Prozent der Einkommensbezieher*innen zahlen sie nicht), dürfte also als korrektiv ungeeignet sein.

Die Mitglieder der ExpertInnenkommission waren übrigens keine wirklichen Fans des 80-Prozent-Deckels, den sie selbst vorschlugen. Dieser sei nicht nur unpräzise, sondern im Vergleich zur Wirkung auch teurer als nötig. Alternativ plädierten sie für «sozial-differenzierte Direktzahlungen», leider seien sie derzeit nicht umsetzbar. Bis heute fehlen verknüpfte Daten zu Wohnungsbelegung, Einkommen und energetischen Zustand der Gebäude genauso wie ein Transfermechanismus für Direktzahlungen, den Christian Linders Finanzministerium schaffen sollte.

Länder-Härtefallfonds schließen Lücken

Die Bundesregierung hat aus dem «Abwehrschirm» des WSF auch bis zu 1,8 Milliarden Euro für die Bundesländer bereitgestellt, mit dem vor allem Heizkostenhilfen für private Haushalte finanziert werden sollen, die mit Öl-, Pellet-, Kohle- und Flüssiggas heizen. Viele Bundesländer sind hier schon in Vorleistung gegangen oder legen noch etwas oben drauf, etwa für Gewerbe, Sportstätten oder Kultureinrichtungen.

Der Berliner Senat hatte beispielsweise schon zuvor einen Krisenfonds zur Abfederung hoher Energiepreise in Höhe von rund drei Milliarden Euro aufgelegt, eine Milliarde Euro davon als Landesbeteiligung an entsprechende Bundessprogramme. Zum Fonds gehören ein 102 Millionen Euro schwerer Härtefallfonds für Privathaushalte (Strom- und Energiekostenzuschuss, Energieberatung, Entlastung für Familien mit Berlinpass, Netzwerk der Wärme) oder auch 110 Millionen Euro für Preissenkungen beim ÖPNV. Beschlossen wurde ein Kündigungsmoratorium und ein Mietenstopp für städtische Wohnungsunternehmen, die 33 Millionen Euro zur Abfederung erhalten. Ein Programm «Liquiditätshilfen Energie» richtet sich an Unternehmen, Freiberufler*innen und Selbstständige, weitere 25 Millionen Euro gehen an die Bäderbetriebe. Ebenfalls 25 Millionen Euro sollen unter anderem private Kultureinrichtungen bei der Bewältigung der hohen Energiekosten unterstützen.

Das Berliner Paket enthält außerdem einen Notfallfonds in Höhe von 143 Millionen Euro für Zuschüsse unter anderem im Kulturbereich, für Schulen in freier Trägerschaft, an das Studierendenwerk (Mietenstopp in den Wohnheimen) sowie für Verbände und Vereine. Acht Millionen Euro davon sind reserviert, um Sportvereine vor existenziellen Notlagen zu schützen. Nach David Kozlowski vom Landessportbund Berlin werden diese Mittel wahrscheinlich ausreichen, um verbleibende Lücken zur Strompreisbremse bei jenen 720 Vereinen zu schließen, die eigene Sportanlagen verantworten. «Die Hilfen zusammen sind gut, reichen allerdings nicht für Investitionen und Personal, um Sporthallen und Vereinszentren nachhaltig krisenfest zu machen», so Kozlowski. Das dürfte für viele Infrastrukturen der Bundesrepublik gelten. Hierfür müsste das Tempo der Energie- und Effizienzwende deutlich anziehen.