Interview | Partizipation / Bürgerrechte - Einbürgerung «Minderheitenpolitik ist immer auch Friedenspolitik»

Stefan Seidler kämpft für mehr Minderheitenrechte in Deutschland

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Bundestagsabgeordneter Stefan Seidler (SSW - Südschleswigscher Wählerverband) in seinem Wahlkreis Flensburg – Schleswig
«Man erkennt die Stärke einer Demokratie daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.» Bundestagsabgeordneter Stefan Seidler (SSW - Südschleswigscher Wählerverband) in seinem Wahlkreis Flensburg – Schleswig, Quelle: Stefan Seidler, Facebook

Bei der Bundestagswahl 2021 wurde Stefan Seidler erster Bundestagabgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) seit 1953. Aufgewachsen als Teil der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein studierte er nach dem Abitur in Flensburg Staats- und Politikwissenschaft an der Universität in Aarhus. Beruflich war er in Dänemark als politischer Berater für deutsch-dänische Zusammenarbeit und als Manager von grenzüberschreitenden EU-Programmen tätig. Ab 2014 und bis zum Einzug in den Bundestag arbeitete er als Dänemark-Koordinator der Landesregierung in Schleswig-Holstein.

Mit ihm sprach Florian Weis über die Perspektiven von Minderheiten in Deutschland und die politischen Positionen der Südschleswigschen Wählerverbands.
 

Florian Weis: Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) ist aufgrund von besonderen Regelungen von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen. Er ist nicht nur – in Fraktionsstärke – im Landtag von Schleswig-Holstein, sondern seit 2021 durch Sie im Deutschen Bundestag vertreten. Wie kam es zu dieser Sonderreglung, Herr Seidler?

Stefan Seidler: Die Sonderregelungen wie die Ausnahme von der Fünf-Prozent-Sperrklausel für den SSW hängen mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29. März 1955 zusammen. Sie bekräftigen die Gleichbehandlung der dänischen Minderheit in Deutschland und der deutschen Minderheit in Dänemark bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer kulturellen und politischen Interessen. So trugen die Erklärungen zur Lösung der so genannten «Südschleswig-Frage» in den 1950’ern bei. Dabei ging es um die Lösung von historisch bedingten Spannungen in der deutsch-dänischen Grenzregion. Für die Rechte der Minderheiten nördlich und südlich der Grenze sind diese Erklärungen auch heute noch ganz zentral.

Politisch gesehen konzentrierten sich die nationalen Spannungen in Schleswig-Holstein unter anderem darauf, dass die von der CDU geführte Landesregierung eine Hürde von 7,5 Prozent für den Einzug in den Landtag festgelegt hatte. Obwohl diese 1952 vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig erklärt wurde, war es der dänischen Minderheit aufgrund der wieder geltenden Fünf-Prozent-Hürde weiter nicht möglich in den Landtag einzuziehen und so politische Repräsentation zu erlangen. Dass die Landesregierung zugleich finanzielle Kürzungen für dänische Schulen in Südschleswig beschloss, sorgte zum einen für große Unzufriedenheit in Dänemark und zeugt zum anderen von den Spannungen der Zeit.

Als die Bundesregierung um Unterstützung für den NATO-Beitritt warb, machte der dänische Außenminister und spätere Staatsminister H.C. Hansen Bundeskanzler Konrad Adenauer auf die unzureichende Situation der Minderheiten an der dänisch-deutschen Grenze aufmerksam. Dadurch erlangte das Thema auf nationaler Ebene an Bedeutung und die «Südschleswig-Frage» wurde für Dänemark ein zentrales Element der Verhandlungen, als es um Wiederbewaffnung und NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik ging.

Mit Unterzeichnung der Bonn-Kopenhagener Erklärungen sicherten die Regierungen zu, die jeweiligen Minderheiten vor Diskriminierung und Kontrolle der Zugehörigkeit zu schützen. Ganz entscheidend ist seither, dass das Bekenntnis der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit frei ist, und von keiner Stelle in Frage gestellt oder überprüft werden darf. Neben der behördlichen Gleichstellung stellten die Erklärungen auch die Möglichkeit der politischen Repräsentation durch die Ausnahme von der Fünf-Prozent-Hürde auf Landes- und Bundesebene sicher. Das war damals ein echter Fortschritt, der ganz entscheidend dafür ist, dass der SSW seit 1958 stets im Schleswig-Holsteinischen Landtag vertreten ist und 2021 auch in den Bundestag einziehen konnte.

Der SSW ist seit den Bundestagswahlen vom September 2021 erstmals seit 60 Jahren wieder im Deutschen Bundestag mit einem Abgeordneten vertreten. Herr Seidler, wie verstehen Sie, wie versteht der SSW seine parlamentarische und politische Rolle im Bundestag und in Schleswig-Holstein als Vertretung der dänischen und friesischen Minderheiten? Welche Schlussfolgerungen leitet der SSW daraus mit Blick auf andere anerkannte Minderheiten wie Sinti und Roma und Sorben und für die anerkannten Minderheiten- und Regionalsprachen (Dänisch, Friesisch, Plattdeutsch, Sorbisch und Romani bzw. Romanes) ab? Sind diese – begrenzten – Rechte ausreichend, oder müssten sie ausgeweitet werden?

Der Südschleswigsche Wählerverband ist die Partei der Dänen und der Friesen in Schleswig-Holstein. Mit dem Anspruch, dass unsere Minderheiten und der Norden in der gesamten Bundesrepublik sichtbarer werden, sind wir 2021 zur Bundestagswahl angetreten.

Praktisch bedeutet das bei einem Mandat vor allem Kolleg*innen darauf aufmerksam zu machen, wenn beispielsweise Minderheitenperspektiven bei Initiativen nicht gut genug mitgedacht worden sind. Dabei sind Netzwerk und das respektvolle Miteinander entscheidend für gute Arbeit.

Im Augenblick klappt das bei der Reform des Namensrechts super. Wir haben beharrlich darauf hingewiesen, wie entscheidend es ist, die Namenstraditionen der nationalen Minderheiten bei der Reform angemessen zu berücksichtigen. Durch die Zuarbeit der Minderheitenverbände und die Offenheit der Kolleg*innen sieht es im aktuellen Entwurf so aus, dass die Sorb*innen, Fries*innen und die dänische Minderheit ihre Kinder gemäß ihrer eigenen Namenstradition benennen.

Genauso lässt sich mein Verständnis des Mandats gut zusammenfassen: Ich versuche meine Position zu nutzen, um Minderheiten und Regionalität eine Stimme und Bühne zu geben. Besonders hervorzuheben ist etwa der Antiziganismusantrag, der mir sehr am Herzen liegt und bei dem wir im Augenblick in den finalen Abstimmungen sind.

Im März gab es eine Debatte zum 25. Jubiläum der europäischen Sprachencharta. Die Abgeordneten wurden aufgefordert, in ihren Minderheiten- und Regionalsprachen zu sprechen. Zu diesem Anlass hielt ich deshalb eine Rede auf vier Sprachen. Neben Hochdeutsch auf Friesisch, Dänisch und Plattdeutsch. Denn auch Regionalsprachen wie Plattdeutsch gehören ganz klar zur Arbeit für kulturelle Vielfalt, die mir wichtig sind.

Im Wahlkampf haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Norden zu kurz kommt. Die Bewohner*innen Schleswig-Holsteins sind im bundesweiten Vergleich mit den höchsten Strompreisen konfrontiert. Das liegt an der konsequenten Umsetzung der Energiewende, an der wir als SSW aktiv teilgenommen haben, als wir in der Landesregierung gemeinsam mit der SPD und den Grünen saßen. Inzwischen wird bei uns grüner Strom für die gesamte Bundesrepublik produziert, wofür eine Neugestaltung des gesamten Stromnetzes und der Umspannwerke der Stadtwerke vorgenommen wurde. Allerdings bleiben wir nun aufgrund der höheren Produktionskosten auf den zusätzlichen Kosten sitzen.

Die Debatte zum 25. Jubiläum der europäischen Sprachencharta im Bundestag, März 2023: Lehrreich und gleichzeitig unterhaltsam.

Ein weiteres Anliegen war die Infrastruktur, die hier in vielen Bereichen deutlich hinterherhinkt. Wir benötigen dringend verbesserte Bahnverbindungen und einen effizienteren Nahverkehr. Leider wurde in den letzten Jahren nur unzureichend investiert. Wenn man einen Blick auf den Bundesverkehrswegeplan für 2030 wirft, wird die Ungleichheit noch deutlicher: Bayern erhält stolze 325 Initiativen, während Schleswig-Holstein lediglich mit 22 bedacht wird. Erst im März dieses Jahres brachte ein Gutachten die Versäumnisse auf den Punkt: Nirgends ist das Schienennetz maroder als bei uns in Schleswig-Holstein. Das sind Dinge, die die Menschen vor Ort beschäftigen, weil sie schlicht nicht fair sind.

Mein Anspruch ist es deshalb von Anfang an gewesen nicht viel zu schnacken. Es geht darum, Probleme klar zu benennen und dann mit einem skandinavischen Demokratieverständnis in konstruktiver Opposition bei der Lösungsfindung mitzuarbeiten. Konstruktiv heißt ganz konkret, dass ich mich bei unseren Nachbarn inspirieren lasse. Dänische Politik zeichnet sich durch eine Tradition der breiten politischen Zusammenarbeit aus, insbesondere wenn es um wichtige politische Entscheidungen geht. Statt einem starren Regierung-Opposition-Konflikts sehen wir in Dänemark traditionell die Bildung von Koalitionen bei negativem Parlamentarismus und breiten Einigungen mit Oppositionsparteien. Da können wir in Deutschland noch etwas lernen.

Das ist wie bei Demokratie, Frieden und allen anderen Gleichstellungsfragen: da muss immer für gekämpft und geschuftet werden.

Als Forum für regelmäßigen minderheitenpolitischen Dialog habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Denise Loop den Parlamentskreis Minderheiten gegründet. Zu diesem Parlamentskreis gehören viele geschätzte KollegInnen aller demokratischen Fraktionen. Selbstredend werden die Verbände und Vertreter*innen der vier autochthonen Minderheiten und deren Dachorganisation, das Minderheitensekretariat in Berlin, regelmäßig zum Austausch eingeladen. Wenn es konkrete Problemstellungen und Initiativen gibt, bei denen abzusehen ist, dass sie relevant für eine oder alle vier autochthonen Minderheiten ist, bin ich für Input immer dankbar. Ich habe das klare Gefühl, dass das auch umgekehrt gilt. Durch das laufende Gespräch und die gute Zusammenarbeit ergibt sich deshalb auch, dass meine Zusammenarbeit mit den VertreterInnen der Sinti und Roma und der Sorben genauso gut und aktiv ist wie mit meinen Leuten, den FriesInnen und den DänInnen. Neben unseren Minderheiten hier in Deutschland sind aber auch die Belange deutscher Minderheiten im Ausland Thema bei uns im Parlamentskreis.

Was die Ausweitung meiner Rechte im Parlament angeht, bin ich davon überzeugt, dass umfassendere Rechte im gesetzlichen Rahmen möglich und im Sinne der nationalen Minderheiten auch geboten sind. Daran arbeiten wir aktiv und führen viele Gespräche mit Kolleg*innen und Expert*innen. Besonders bei Themen wie der Geschäftsordnung wären mehr Möglichkeiten gut für meine parlamentarische Arbeit als Vertreter der Minderheiten. Klar ist aber auch, dass Minderheitenpolitik und das Erreichen von Minderheitenrechten kein Ziel sind, das irgendwann erledigt ist. Das ist wie bei Demokratie, Frieden und allen anderen Gleichstellungsfragen: da muss immer für gekämpft und geschuftet werden.

Das größte Ziel ist es, die Minderheiten ins Grundgesetz aufzunehmen. Das ist zum Beispiel in der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung schon der Fall, auch wegen der guten Arbeit der Kolleg*innen der SSW-Landtagsgruppen. Aber selbst wenn das gelingen sollte, ist unsere Arbeit nicht getan. Rechte können herausgefordert und wieder genommen werden. Dass die Minderheiten und besonders der SSW und die dänische Minderheit da keine Ausnahme ist, sahen wir zuletzt, als die Zuschüsse des Landes Schleswig-Holstein für dänische Schulen 2012 gekürzt werden sollten oder als eine Wahlprüfbeschwerde 2013 vor dem Landesverfassungsgericht scheiterte, die die Ausnahme des SSW von der Fünf-Prozent-Klausel in Frage stellte. Ein wesentlicher Bestandteil der Begründung des Landesverfassungsgerichts waren da die Bonn-Kopenhagener Erklärungen.

Minderheitenpolitik ist immer auch Friedenspolitik – man erkennt die Stärke einer Demokratie daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht

Welche Positionen vertritt der SSW, entstanden als eine Interessenvertretung einer «autochthonen» (nationalen und sprachlichen) Minderheit in Bezug auf die Rechte von «allochthonen» Minderheiten, auf die große und heterogene Gruppe derjenigen Menschen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind? Wo sehen Sie Ähnlichkeiten und Unterschiede, etwa in Bezug auf Sprache/n und andere Minderheitenrechte? Wie stellt sich der SSW eine künftige bundesdeutsche Gesellschaft vor, die in starkem Maße (post)migrantisch geprägt ist, welches Leitbild vertritt der SSW gewissermaßen?    

Generell vertritt der SSW die Ansicht, dass kulturelle Vielfalt und die Rechte von Minderheiten unabhängig von ihrer Herkunft respektiert und geschützt werden müssen. Als Interessenvertretung autochthoner Minderheiten setzten wir uns natürlich auch für eine offene und liberale Haltung gegenüber den nicht-autochthonen Minderheiten ein. Wir wissen genau, dass es in den Herausforderungen, mit denen autochthone und allochthone Minderheiten konfrontiert sein können, viele Ähnlichkeiten gibt. Es ist aber ganz entscheidend, dass wir den definitorischen Unterschied zwischen autochthonen und allochthonen Minderheiten nicht vergessen.

Autochthone nationale Minderheiten oder Volksgruppen in Europa haben ihre Existenz aufgrund der Auswirkungen der europäischen Geschichte, Grenzziehungen und anderer historischer Ereignisse gefunden. Das schließt sowohl Gruppen ein, die durch diese Entwicklungen entstanden sind, als auch Völker, die nie einen eigenen Staat gegründet haben und daher als Minderheit auf dem Territorium eines anderen Staates leben. Der definitorische Unterschied liegt laut der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) darin, dass eine autochthone Minderheit im Gebiet eines Staates geschlossen oder in Streulage siedelt, kleiner ist als die übrige Bevölkerung des Staates, deren Angehörige Bürger dieses Staates sind, über Generationen und beständig in dem betreffenden Gebiet ansässig sind und durch ethnische, sprachliche oder kulturelle Merkmale von den übrigen Staatsbürgern unterschieden werden kann und gewillt ist, diese Eigenarten zu bewahren.

Auf Grundlage dieser Kriterien gibt es in Deutschland vier anerkannte autochthone nationale Minderheiten: Die Friesen, die Sorben, die Sinti und Roma sowie die dänische Minderheit.

Die Vision des SSW für eine künftige Gesellschaft beinhaltet über diese Definition hinaus, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, unabhängig von ihrer Einwanderungsgeschichte, gleichberechtigt und ohne Diskriminierung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Es ist wichtig, dass wir uns durch unsere politische Arbeit breit für Sprache und kulturelle Identitäten als Stärke unserer Gesellschaft einsetzen. Mehrsprachigkeit und Vielfalt zu fördern, trägt zur Stärkung der Zivilgesellschaft und einer gesunden Demokratie bei. Minderheitenpolitik ist ein kleiner – wenngleich entscheidender – Pfeiler, auf dem diese Gesellschaft steht. Weil das friedliche und demokratische Zusammenleben so gefördert wird, sagen wir im SSW: Minderheitenpolitik ist immer auch Friedenspolitik – man erkennt die Stärke einer Demokratie daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Darum geht es in meiner Vision.

Wie ist die Haltung des SSW zu aktuellen Debatten sowie konkreten Gesetzesinitiativen rund um Einbürgerung (Fachkräfteeinwanderung), Aufenthaltssicherung (Chancenaufenthaltsrecht sowie «Spurwechsel»), Flucht und Asyl (EU-Politik und nationale Politik)? Welche konkreten Politikfelder und Umsetzungsschritte würden konkret helfen (z.B. Arbeitsmarkt, Schule/ Bildung/ Kultur usw.)? Welche aktuellen Probleme sehen Sie aus den Erfahrungen des SSW in der Kommunal- und Landespolitik und im Bundestag, und wie könnten diese konkret überwunden werden? Und sehen Sie einen Widerspruch zwischen humanitär-menschenrechtlichen und pragmatischen Nützlichkeitserwägungen in der Migrationspolitik, und falls ja, welche Möglichkeiten sehen Sie, diese zu überbrücken?

Im Augenblick ist aus meiner Sicht besonders interessant, dass es in Deutschland einen Fokus auf die dänische Asylpolitik gibt. Im Vergleich mit anderen können wir lernen. Das gilt bei positiver wie auch bei negativer Abgrenzung. Für mich ist in diesem Zusammenhang aber ganz klar, dass das dänische Modell hier nicht als Vorbild gelten sollte. In allen Aspekten der Migrations- Asyl- und Integrationspolitik sollte der humanitäre Umgang im Fokus stehen und zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden können. Zäune an den europäischen Außengrenzen, Massenlager wie Moria oder pauschale Verhaftungen stimmen daher nicht mit meinen eigenen oder den Ideen des SSW überein. So darf es in keinem Szenario zu einer europäischen Festung oder einer inhumanen Behandlung der Menschen und ihrer Asylverfahren kommen.

Klar ist aber auch, dass wir ein einheitliches, faires und schnelles Asylverfahren inklusive Beratungsmöglichkeiten für die gesamte EU sowie einheitliche Anerkennungskriterien bieten können müssen. Deshalb müssen wir es für diese Menschen möglich machen, Europa zu erreichen, um das Recht, einen Asylantrag zu stellen, nutzen zu können. Im weiteren Verlauf ist es notwendig, einen gerechten Verteilmechanismus auf alle Länder Europas mit hohen Mindeststandards bei Unterbringung und Versorgung zu errichten sowie die zwingende Notwendigkeit eines humanitären Bleiberechtes. Die Herausforderungen bei der Aufnahme und Behandlungen besonders in den Kommunen sind unübersehbar. Auf Sicht aber nicht in nachhaltige Aufstockung der Verwaltung in diesem Bereich zu investieren, trägt nicht zur Lösung des Problems bei.

Ebenso darf auch die entwicklungspolitische Perspektive nicht außer Acht gelassen werden. Neben einer verantwortungsvollen und nachhaltig gestalteten Asyl- und Migrationspolitik ist es gleichermaßen wichtig, die Fluchtursachen vor Ort abzuschaffen. Wir in Europa haben eine historische Verantwortung, die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu erkennen und solidarische Lösungen zu schaffen.

Insgesamt ist der aktuelle Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik daher selbstverständlich auch für mich nicht zufriedenstellend. Dabei tragen wir nicht nur die Verantwortung, sondern sollten ebenso ein Interesse an einem attraktiven Einwanderungsstandort Deutschland haben – oder auch in der EU generell. Die Vorteile in Bezug auf Themen wie unter anderem den Fachkräftemangel oder den demografischen Wandel liegen auf der Hand.

Wie steht der SSW zu Forderungen, das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft zu entkoppeln und z.B. nach fünfjährigem legalen Aufenthalt zu ermöglichen? 

Uns ist wichtig, dass verschiedene Teile unserer Gesellschaft die Gelegenheit zur demokratischen Teilhabe erhalten. Das gilt sowohl für die Entkopplung des Wahlrechts von der Staatsbürgerschaft als auch für das Wahlalter bei allen Wahlen. Auch Jugendliche streben danach, dass ihre Interessen in der Politik vertreten werden und dass sie einen Einfluss auf politische Entscheidungen haben können. Auch Jugendliche ab 16 Jahren sollten das Recht erhalten bei Bundestags- und Europawahlen ihre Stimme abzugeben. Die politischen Entscheidungen, die getroffen werden, haben schließlich direkte Auswirkungen auf ihre Zukunft.

Wir möchten die Voraussetzungen für ein Wahlrecht für Drittstaatsangehörige bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen schaffen.