Der hier anzuzeigende Band enthält 25 journalistische Texte, von denen 21 in den Wochen nach dem 7. Oktober bis Mitte Dezember 2023 bereits in verschiedenen Medien (FAZ, taz, Süddeutsche Zeitung, Spiegel, Welt am Sonntag und jungle world) erschienen sind. Vier Texte, jene eindrücklichen von Doron Rabinovici, Natan Sznaider, Philipp Lenhardund der von Oliver Piecha und Thomas von Osten-Sacken wurden dagegen extra für diesen Sammelband geschrieben, vermutlich im Dezember und Januar.
Nahezu alle Beiträge ringen um Worte, versuchen den Einschnitt, den dieser Tag darstellt, an dem die angenommene sichere Heimstatt aller Juden sich als nicht mehr sicher herausstellte, begreifbar zu machen. Sie beschreiben das Trauma, ein ansonsten oft überstrapazierter, hier aber sehr zutreffender Begriff, das dieser Tag ausgelöst hat. Sie versuchen den Schock und die Trauer öffentlich zu bearbeiten und die veränderte Situation für die Menschen in Israel, aber auch für alle Juden und Jüdinnen weltweit, zu beschreiben.
Was ist am 7. Oktober überhaupt genau passiert, als schätzungsweise 3000 Personen, davon, die Hälfte Menschen, die nicht unmittelbar der Hamas oder dem Islamischen Dschihad angehörten (S. 112), in Israel einfallen? Die dort foltern und vergewaltigen? Über 1200 Menschen werden an diesem Tag ermordet, weitere als Geiseln genommen.
Die Beiträge beklagen die dröhnende Stille in den progressiven Szenen in Kunst, Medien, Wissenschaft und NGOs nach dem Massaker, die Empathielosigkeit gegenüber den Opfern und kritisieren das dann umso lautere Engagement, als Israel zu heftigen, womöglich unverhältnismäßigen und jedenfalls opferreichen Gegenmaßnahmen greift und zur Zielscheibe weltweiter Proteste wird - und nicht etwa stattdessen die Hamas.
Diese weitverbreitete und in ihrem Umfang doch überraschende Solidarität mit den Tätern verursacht eine veränderte politische Situation. Diese Neuordnung der politischen Kartografie wird, soviel ist heute abzusehen, weitreichende politische Folgen haben. Viele der Texte können diese, aus dem Zeitpunkt heraus, in dem sie verfasst wurden, noch gar nicht, oder nur sehr grob umreißen. Die wichtigen Texte von Eva Illouzund Seyla Benhabib, die die Positionen vieler global bekannter Intellektueller scharf und begründet kritisierten, sind enthalten1.
Das Buch ist eine nützliche Sammlung von durchweg lesenswerten Texten, die die Einschätzungen der Minderheit in «der» Linken gut dokumentieren, nämlich derjenigen, die sich als Israel-solidarisch verstehen, und gleichzeitig die deutsche Regierungspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich stark kritisiert haben.
Tania Martini/Klaus Bittermann: Nach dem 7. Oktober. Essays über das genozidale Massker und seine Folgen; Edition Tiamat, Berlin 2024, 232 Seiten, 24 Euro
1 Der vielbeachtete Text von Benhabib ist hierbei den Blättern für deutsche und internationale Politik online, der von Illouz erschien schon am 27. Oktober 2023 in der Süddeutschen zeitung und ist ebenfalls online.