Vor kurzem sprach ich mit einem guten politischen Freund darüber, wie man in einer Rezension der immensen Arbeit, die in einem Buch steckt, gerecht werden kann. Eine Autorin oder ein Herausgeber arbeitet lange und oftmals unbezahlt an seinem Werk, der Rezensent liest es in wenigen Stunden durch und schreibt in zwei weiteren seinen Text darüber. Wir waren uns einig, dass dieses Missverhältnis vorerst nicht aufzuheben ist.
Markus Mohr, der Herausgeber dieser zwei Bände, hat allen potentiellen Rezensent_innen vorab ausdrücklich untersagt, es „ein Standardwerk“ zu nennen oder zu schreiben, dass es „eine Forschungslücke“ fülle. Solche leeren akademischen Floskeln sind ihm berechtigterweise ein Gräuel. Mir lag stattdessen auf der Zunge, es dann einfach ein „Meisterwerk“ zu nennen, aber dafür ist es unter zu prekären Bedingungen entstanden, die zu einigen Fehlern führten. So ist fälschlicherweise einige Male von einer dem Buch beiliegenden CD die Rede. Mohr hat hingegen in einem bewundernswerten über sieben Jahren dauernden Kraftakt strukturgleich wie im von ihm mitherausgegebenen erschienenen Buch zur Zeitschrift agit 883 (Hamburg 2006) wieder umfangreiche Quellenrecherche und Editionsarbeit geleistet und neue AutorInnen, aber auch viele, die schon beim agit-Buch dabei waren, zur Mitarbeit für redaktionelle Beiträge gewinnen können.
Das zweibändige Werk besteht aus einem über 100 Seiten umfassenden Überblicks- und Hauptartikel von Mohr selbst und über zwei Dutzend weiteren Texten von Mohr und anderen Autor_innen vom linken Rand der Akademie oder aus dem bekannten Kreis linksradikaler HistorikerInnen. Themen sind einzelne Gefangene, Angeklagte und Prozesse, die Rote Hilfe und ihr Wirken in einzelnen Teilbereichskämpfen (Betrieb, Migration, Soziales) oder die Geschichte der Roten Hilfen an einzelnen, für die radikale Linke wichtigen Orten (München, Frankfurt, Berlin). Weiter geht es um benachbarte (die RAF und die mit ihr verbundenen (Internationalen) Komitees gegen Folter) und befreundete Organisationen (das Initiativkomitee Arbeiterhilfe des Kommunistischen Bundes) oder auch eher unerwartete Stränge wie das Verhältnis des linken Buchhandels zur Roten Hilfe.
Verwickelter ist dagegen die Organisationsgeschichte der Roten Hilfe, gab es doch (zeitweise) deren drei unter gleichem Namen. Das Buch löst das durch verschiedene Abkürzungen für die Namen: Rote Hilfe_Stern (RH*), Rote Hilfe Deutschland (RHD) und Rote Hilfe e. V. (RHeV). Rote Hilfen traten erstmals im August 1969 als „autonome Assoziationen“ in verschiedenen Städten auf, um Rechtshilfe für verfolgte GenossInnen zu leisten. Vier Jahre später gründete die maoistische KPD/AO eine Rote Hilfe, und im März 1975 die gleichfalls maoistische KPD/ML noch eine (im Buch: RHD).
Der Fokus von Mohr, von vielen der AutorInnen und erst recht derer, über deren Handeln das Buch berichtet, ist fundamentale Opposition, eine Opposition, die nicht das bestehende modernisieren, sondern schlicht abschaffen will. Das ist angesichts der heutigen politischen Verhältnisse mehr als sympathisch.
Aus dem mehrjährigen Rechercheprozess (1) sind nun mehrere im Buch und/oder online publizierte Bibliographien entstanden, konnten 221 Ausgaben der Zeitungen der verschiedenen Roten Hilfen, existierende Ortsgruppen an über 90 Orten Westdeutschlands und 280 publizierte Broschüren nachgewiesen werden. Auf der Website des der Roten Hilfe verbundenen Hans Litten Archiv in Göttingen sind exakt hier diese umfangreichen Materialien im Volltext open access zugänglich.
Hier finden sich vier Beiträge aus dem Buch online, darunter der von Julia Klopstein, der durch ein technisches Versehen leider nicht in die erste Auflage der Bücher aufgenommen wurde.
bambule (Hrsg.): Das Prinzip Solidarität - Zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD, Band 1 400 Seiten, Band 2 368 Seiten, je 21 EUR, LAIKA Verlag, Hamburg 2013.
(1) Der Verfasser dieser Zeilen verbrachte in diesem Zusammenhang vor einigen Jahren im Auftrag mehrere sich endlos anfühlende Stunden an einem in der Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur in der Württembergischen Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart aufgestellten Kopierer und findet heute, etwas im Gegensatz zu damals, dass sich der Aufwand gelohnt hat.