Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte - GK Geschichte Huwer: „Gastarbeiter“ im Streik. Die Arbeitsniederlegung bei Ford Köln im August 1973, Köln 2013

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Wieviel Eigensinn darf ein „Gast“ haben? Diesem Thema widmet sich der Autor Jörg Huwer in seinem Buch zu den Arbeitsniederlegungen bei Ford in Köln im August 1973 – einem „türkisch-deutschen“ Arbeitskampf, der im „Gastarbeiter“-Land Deutschland eine Zäsur setzte: in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik wie in der Geschichte des zusammen Arbeitens (und Lebens): trotz und auch wegen der Brüche zwischen einem „die“ und einem „wir“. 2013, zum 40. Jahrestag des Streikes, hat das Kölner Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) Huwers Studie veröffentlicht – nun, 2014, bereits in zweiter Auflage.

Der Streik bei FORD in Köln gilt als der größte und wichtigste Arbeitskampf von migrantischen Arbeiter*innen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihm gilt Jörg Huwers Studie. Er schildert in der ersten Hälfte seines Textes die Rahmenbedingen und die Vorgeschichte und in der zweiten den Verlauf dieses Streiks.

Anfang der 1970er Jahre haben 12 Prozent aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik – das entspricht immerhin fast drei Millionen Menschen – einen migrantischen Hintergrund. Der Nachkriegsboom hat eine aktive Anwerbepolitik ausländischer Arbeiternehmer*innen ausgelöst, 1955 wird das erste offizielle Anwerbeabkommen abgeschlossen: mit Italien. Dabei steht das ganze Anwerberegime unter dem Bild des „Gastarbeiters“. Es wird davon ausgegangen, dass jene, als „Gäste“ auf „Einladung“ angeworben, nach einigen Jahren wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden.

Anfang 1973 arbeitet die größte geschlossene Gruppe türkischer Arbeiter außerhalb der Türkei bei FORD in Köln, nahezu 11.000 Personen. Das sind fast 60 Prozent aller Arbeiter bei FORD! Das bedeutet auch, dass zwei Drittel aller männlichen Türken in Köln bei dem 1930 gegründeten Automobilwerk arbeiten. Die Hälfte von ihnen, und auch dies ist eine Folge des Gastarbeiterprinzips, wohnt in – oftmals werkseigenen – Wohnheimen. Die Migrant*innen sind nicht, wie man heute sagen würde, integriert; gerade diejenigen, die Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft oder auch nur eine Wohnung suchen, sind mit viel Ablehnung konfrontiert.

Das Werk ist auf der einen Seite von monotoner und belastender Fließbandarbeit und – zugleich – von einer ethnischen Um- und Unterschichtung der Betriebshierarchie gekennzeichnet. Betriebsversammlungen werden nach Sprachen getrennt durchgeführt. Am Band arbeiten vor allem „Ausländer“, Deutsche arbeiten in den anderen Bereichen, im Lager etwa, oder steigen zum Vorarbeiter auf. Eine dritte Spaltungslinie, die dann auch im Streik zum Tragen kommt, durchzieht das Verhältnis zu Überstunden. Deutsche lehnen Überstunden eher ab, die migrantischen Arbeiter, die ja – vermeintlich – nur kürzere Zeit im Betrieb sein werden und deshalb eher ranklotzen könnten, nicht.

Der Streik selbst beginnt am Freitag, den 24. August, als viele türkische Arbeiter, die ihren Urlaub eigensinnig verlängert haben, gekündigt werden. Neben der Forderung nach Rücknahme der Kündigungen fordern die Streikenden auch eine Lohnerhöhung. Es kommt zu Diskussionen, schließlich zu Umzügen im Werk und am darauffolgenden Dienstag und Mittwoch, dem Höhepunkt des Streiks, übernachten 2.000 Arbeiter auf dem Werksgelände und in den Produktionshallen, was einer „Betriebsbesetzung“ gleichkommt. Schließlich wird eine „Lohnerhöhung“, als „Teuerungszulage“ apostrophiert, verabredet. Die deutschen Arbeiter sind zufrieden. Nun wendet sich das Blatt. Türkische Werksarbeiter werden zusehends diffamiert, als verführbare, impulsive, wenn nicht jähzornige Ausländer dargestellt. Dieses Stereotyp löst das vorherige, das des unterwürfigen Gastarbeiters mit schlichtem Gemüt, ab. Am Donnerstag dem 30. August findet der Streik nach einer Woche ein jähes, wenn nicht traumatisches Ende: Deutsche Arbeiter demonstrieren gegen den Streik, drängen den Widerstand der türkischen Kollegen zurück und räumen, teilweise mit Hilfe der Polizei, das Werk.

Es gibt zum Streik bei FORD zwar den Blog http://ford73.blogsport.de/ aber insgesamt ist dieser Arbeitskampf bisher erstaunlich wenig erforscht (1). Das jetzt in zweiter Auflage erschienene Buch von Jörg Huwer beruht auf seiner Abschlussarbeit, die er schon 2005 für seine Lehramtsprüfung verfasst hat. Das bedeutet auch, dass neuere Literatur (vgl. unten) für das Buch nicht verwendet worden ist. Huwer, der eine linksliberale Perspektive einnimmt, stützt sich vor allem auf gedruckte Quellen, also Tagespresse, Archivalien und Publikationen von FORD, auf Materialien der Gewerkschaften oder linker Gruppen. Interviews mit Beteiligten führt er nur vier in seinem Text ein. Seine Forschung hätte sicher durch mehr Interviews an Schärfe gewonnen. Es muss aber auch nicht den Ansprüchen einer Dissertation genügen. So gibt es dennoch immerhin einen guten Einblick über diesen ganz besonderen Moment in der Geschichte der Arbeitskämpfe in Deutschland, der, neben der Ölkrise (vier autofreie Sonntage im Herbst 1973!) das Ende der wirtschaftlichen Nachkriegszeit symbolisiert. Noch im November 1973 wird ein Anwerbestopp verkündet, und das migrantische Arbeitsregime tritt in eine neue Phase ein. Huwer kann zeigen, wie betriebliche Differenzen, Hierarchien und Konflikte kulturalisiert werden, und auch, wie der Streik in der veröffentlichten Meinung wahrgenommen wird. Er beschreibt insofern auch eine Bruchkante. Denn ab Anfang der 1970er Jahre wurden „die Gastarbeiter“ zusehends zu Bürgerinnen und Bürgern, mit dementsprechenden, auch von ihnen vorgetragenen Teilhabeansprüchen. Diese wollte ihnen die Mehrheitsgesellschaft damals noch nicht zugestehen – und holte sich ihren von „den Türken“ besetzten Betrieb zurück. Die mehrheitsdeutschen Arbeiter verwiesen die Türken auf ihre – vermeintlich – angestammten Plätze und stellten die gewohnte Ordnung wieder her. Die Kämpfe gingen freilich auf anderen Terrains weiter.

Jörg Huwer: „Gastarbeiter“ im Streik. Die Arbeitsniederlegung bei Ford Köln im August 1973, Verlag edition DOMiD, Köln 2013, 114 S., 12 EUR, ISBN 978-3-9816133-0-8.

(1)     Vgl. Serhat Karakayali: Lotta Continua in Frankfurt, Türken-Terror in Köln. Migrantische Kämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik. In: Bernd Hüttner, Gottfried Oy, Norbert Schepers (Hrsg.): Vorwärts und viel vergessen. Beiträge zur Geschichte und Geschichtsschreibung neuer sozialer Bewegungen. AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2005, online auch in grundrisse Heft 14 [URL: http://www.grundrisse.net/grundrisse14/14serhat_karakayali.htm] oder auch ders.: Sechs bis acht Kommunisten, getarnt in Monteursmänteln [URL: http://www.kanak-attak.de/ka/text/fordstreik.html]. Neu jetzt Torsten Bewernitz: „Gemeinsamer Feind- gemeinsamer Kampf“. Die spontanen Streiks der GastarbeiterInnen im Rhein-Neckar-Gebiet 1973, in: FAU Mannheim (Hrsg.): Mannheims „andere“ Arbeiterbewegung. Beispiele eines lokalen Arbeiterradikalismus, Lich 2014, S. 124–151.

Weitere, seit 2005 erschienene Literatur zum Thema

Jan Ole Arps: Frühschicht. Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren, Hamburg 2011.

Peter Birke: Wilde Streiks im Wirtschaftswunder: Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark, Frankfurt am Main / New York, 2007.

Manuela Bojadzijev: Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster 2008, (2. Auflage 2012).

Dieter Braeg (Hg.): „Wilder Streik – das ist Revolution“. Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973, Berlin 2012.

Diese Rezension erschien zuerst in TERZ, der autonomen Stattzeitung für Politik und Kultur in Düsseldorf und Umgebung, Ausgabe 12/2014.


Hier ist noch eine lesenswerte Rezension dieses Buches zu lesen, verfasst von Ceren Türkmen.