Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte - GK Geschichte Div. (Hg.), Sammeln, erschließen, vernetzen. Jugendkultur und soziale Bewegungen im Archiv,Göttingen 2014

...bietet (...) Impressionen über die Landschaft der freien Archive zu den Jugend- und den (neuen) sozialen Bewegungen..."

Information

Der hier vorliegende Band ist die Dokumentation einer Tagung, die im Oktober 2013 im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein stattfand (siehe die Tagungsankündigung unter [http://www.hsozkult.de/event/id/termine-22612]). Er bietet zum einen Impressionen über die Landschaft der freien Archive zu den Jugend- und den (neuen) sozialen Bewegungen und enthält zum anderen einige Denkanstöße über deren Situation und Perspektiven. Den Rahmen bilden die – völlig unterschiedlichen – Situationen dieser Archive, dann die Debatte darum, welchen Wert welche Quellen haben und drittens die Zukunft des Archivs auf Ludwigstein selbst. Die dem heterogenen Feld entsprechenden, sehr unterschiedlichen, insgesamt neun Beiträge stellen einzelne Archive und ihre Selbstverortung vor (Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Archiv der Jugendkulturen, Berlin) oder skizzieren anhand zweier konkreter Forschungsbeispiele – Krautrock beziehungsweise Jugendzentrumsbewegung – die vorgefundene Überlieferungssituation. MitarbeiterInnen der Stadtarchive Hannover und Göttingen erzählen schließlich davon, welche und wie viele Dokumente aus Protestbewegungen sie jeweils verwahren. Jürgen Bacia und Cornelia Wenzel geben anhand ihrer im Buch Bewegung bewahren. Freie Archive und die Geschichte von unten (Berlin 2013) dokumentierten Ergebnisse einen Überblick über die, wie sie es nennen, „freien Archive" zu den und der neuen sozialen Bewegungen. Michael Koltan, langjähriger Mitarbeiter des Archivs der sozialen Bewegungen in Baden (Freiburg) fragt schließlich mehr als rhetorisch, ob nicht die Protokolle eines antiautoritären Kinderladens einen höheren Quellenwert haben als die Kassiber der RAF-Gefangenen aus Stammheim. Er weist kritisch darauf hin, dass auch Archive sozialer Bewegungen vor allem Papier archivieren – und diesem einen hohen Quellenwert zusprechen. Wer aber die Haltungen und Stimmungen des kulturellen Milieus dokumentieren wolle, sei auf diffuse und auch flüchtige Quellen angewiesen, etwa Tondokumente, Kleidung, Aufkleber und so weiter. Diese Quellenarten seien aber schwieriger zu archivieren und zu erschließen.

Die Beiträge geben einen kleinen Eindruck von den reichen und wertvollen Beständen dieser Archive, und einige weisen implizit auf die absolut prekäre Situation der nicht institutionalisierten Archive hin. Es ist ein Skandal, dass jene Archive so wenig Unterstützung von staatlichen und nichtstaatlichen AkteurInnen erhalten.

Rezensionen und ein detaillierter Bericht aus der Arbeit des Ludwigstein-Archivs und dessen Nutzung im Jahre 2013 schließen den leider nicht ganz preiswerten Band ab. Das Jahrbuch Jugendbewegungen und Jugendkulturen ist das Nachfolgeprojekt von Historische Jugendforschung. Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung (erschienen sind die Bände 1–8), welches wiederum zuvor unter der Bezeichnung Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung (erste Ausgabe 1969, letzte Ausgabe 20 / 2002/03) firmierte. 

Gudrun Fiedler, Susanne Rappe-Weber, Detlef Siegfried (Hg.), Sammeln, erschließen, vernetzen. Jugendkultur und soziale Bewegungen im Archiv, V&R unipress, Göttingen 2014. 249 Seiten, 39,80 EUR

Diese Rezension erschien zuerst in der Ausgabe 16 von Sozial.Geschichte Online