Seit Mussolini 1922 in Italien an die Macht gelangte, reißen die Kontroversen über die inhaltliche Definition und Tauglichkeit der Begriffe Faschismus und Antifaschismus nicht ab. Diese Studie zeichnet die Ursprünge des europäischen Faschismus am Beispiel von Italien, Deutschland, Österreich und Ungarn nach und fragt, ob die aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsradikalismus in diesen Ländern als «faschistisch» klassifiziert werden können und sollen. Dazu führten die Autoren auch zahlreiche Interviews mit Faschismusexpert*innen, die hier erstmals veröffentlicht werden.
Alexander Häusler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei FORENA.
Michael Fehrenschild ist freier Mitarbeiter bei FORENA und beruflich tätig als Lektor, Publizist und historisch-politischer Bildner.
Alles Faschismus oder was?
Mit dem Aufschwung rechtsradikaler Parteien in Deutschland und Europa drängt auch der historische Faschismus wieder verstärkt ins politische Blickfeld. Zum einen verharmlosen rechtsradikale Formationen immer wieder den Faschismus oder greifen gar bestimmte Elemente desselben positiv auf. Zum anderen nehmen antifaschistische und antirassistische Initiativen in ihren Analysen oftmals allzu schnell Zuflucht zu historischen Analogien, als handele es sich beim heutigen Rechtsradikalismus um eine Reinkarnation der faschistischen Massenbewegungen der Zwischenkriegszeit.
Die Frage, wo die historischen und aktuellen Formationen sich tatsächlich ähneln und wo sie sich unterscheiden, ist Gegenstand der vorliegenden Studie, die ein Team des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus und Neonazismus (FORENA) an der Hochschule Düsseldorf für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitet hat. Die Beantwortung dieser Frage wiederum ist von entscheidender Bedeutung für die aktuellen Auseinandersetzungen, da sich nur auf der Grundlage eines angemessenen Verständnisses des Rechtsradikalismus und seiner historischen Vorläufer eine zeitgenössische antifaschistische Gegenstrategie formulieren lässt, die sich auf das reale Problem bezieht – anstatt auf das jeweilige Bild desselben.
In der Studie geht es also darum zu untersuchen, wo sich die historischen faschistischen und die aktuellen rechtsradikalen Formationen ähneln und wo sie sich unterscheiden. Auch wenn von einer einzelnen Studie kaum erwartet werden kann, diese Frage umfassend zu beantworten, leistet die Arbeit doch einen wichtigen Beitrag dazu, historische Analogien auf ihren tatsächlichen Gehalt hin zu prüfen. Ziel der Studie ist eine verbesserte, empirisch gestützte analytische Grundlage für die Formulierung antifaschistischer Gegenstrategien und die politische Bildungsarbeit. Dabei soll auch das begriffliche Instrumentarium präzisiert und die Frage beantwortet werden, ob der Begriff des Faschismus überhaupt auf die heutigen rechtsradikalen Formationen angewendet werden kann.
Die unter Leitung von Alexander Häusler erstellte Studie besteht aus mehreren Teilen. Einer Begriffseinordnung folgend werden zunächst vier prominente Länderbeispiele – Italien, Deutschland, Österreich und Ungarn – diskutiert. In einem zweiten Schritt werden linke Faschismustheorien dargestellt und vergleichende Deutungen des Faschismus im Kontext der Rechtsextremismusforschung erörtert. Transkribierte Interviews mit internationalen Faschismusexpert*innen beschließen den Band; sie bieten einen exzellenten Einblick in den Stand der einschlägigen Forschung.
Ich wünsche allen Leser*innen eine produktive Lektüre.
Daniela Trochowski, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Berlin, März 2020
Inhalt
Einleitung
Faschismus: Begriff und Entwicklung
- Genese und vergleichende Merkmale
- Arbeitsdefinition
Länderspezifische Entwicklungen
- Italien
- Deutschland
- Österreich
- Ungarn
Die Linke und der Faschismus
- Marxistische Faschismusanalyse
- Faschismus und Wirtschaft
Vergleichende Deutungen und Kontroversen
- Vergleichende Merkmale des Faschismus
- Faschismus versus Nationalsozialismus?
Rechtsextremismusforschung und Faschismus
- Rechtsextremismus und Neofaschismus
- Faschismus und Populismus
- Radikaler Nationalismus und autoritärer Etatismus
Schlussbemerkungen und offene Fragen
Interviews mit Faschismusexpert*innen
Literatur