Publikation International / Transnational - Krieg / Frieden - Afrika - Nordafrika Der libysche Krieg des Westens

Ein Zwischenstand von Erhard Crome. RLS-Papers 4/2011

Information

Reihe

RLS Papers

Autor

Erhard Crome,

Erschienen

Mai 2011

Zugehörige Dateien

Inhalt

  • Umbrüche in den arabischen Ländern
  • Libysche Besonderheiten
  • Wie der Krieg gemacht wurde
  • Die UNO-Resolutionen 1970 und 1973
  • Die unterschiedlichen Akteure und Interessen und der Krieg
    • China
    • Russland
    • Deutschland
    • Indien
    • Brasilien
    • Türkei
    • Südafrika und die Afrikanische Union
  • Der Krieg und die Umbrüche in den arabischen Ländern
  • Globale Neuverteilung der Macht im 21. Jahrhundert
  • Die Geschichte ist offen

Wenn die Herrschenden den Einbruch des Krieges in das Leben unzähliger Menschen und damit den Tod vieler Unschuldiger und das neuerliche Schuldigwerden ihrer Kriegsknechte befohlen haben, stellt dies stets auf’s Neue eine Herausforderung für das Denken und Fühlen dar, Wut und Ablehnung, aber auch Mitgefühl und Solidarität stellen sich ein. Doch es ist immer auch eine besondere Herausforderung an die politische und historische Analyse. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Im Zeitalter der elektronischen Medien werden nicht nur die elektronischen Systeme und die Journalisten „eingebettet“ in das Lügengespinst der Kriegspropaganda, sondern auch die gesiebten Informationen. Die dünne Informationslage zu Libyen, eigentlich zu ganz Nordafrika in Europa ist Ausdruck dessen, dass sich die meisten Europäer jenseits von Ägypten, den Pyramiden und dem Tourismus kaum mit der Region befasst haben. Das erleichtert es, auch mit Falschinformationen und Spekulationen Krieg zu führen. Eine Untersuchung, die auf den Tatsachen fußen will, hat es daher schwer. Die hiermit vorgelegte Analyse will einen Beitrag zur Aufklärung im Dienste des Friedens und gegen den Krieg leisten. Es ist gewiss besonders schwierig, dies gleichsam in einem Zwischenstudium zu tun, da noch nicht ausgemacht ist, wie dieser Krieg ausgeht. Aber vielleicht trägt ja die kritische Darstellung seiner Zusammenhänge und der obwaltenden Interessen dazu bei, ihn zu verkürzen oder längerfristig Krieg überhaupt zu verunmöglichen.

Die Kriegsaktionen westlicher Mächte gegen Ziele in Libyen begannen mit Luftangriffen am 19. März 2011; am 22. März folgte eine Seeblockade. Am 24. März hieß es, die Luftwaffe von Gaddafi sei zerstört, „Phase I“ des Krieges abgeschlossen. Für „Phase II“ übernahm die NATO das Kommando. Den Versuchen der Afrikanischen Union, des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und der türkischen Regierung, zwischen den libyschen Bürgerkriegsparteien zu vermitteln, um so den angedrohten Krieg der äußeren Mächte zu verhindern, war ein massiver Riegel der Macht des Faktischen vorgeschoben. Die Logik des Krieges hat die des Friedens außer Kraft setzen sollen, und sie waltet weiter.

Es ist ein „asymmetrischer“ Krieg. „Der Pilot eines Kampfbombers oder die Besatzung eines Kriegsschiffs, von dem aus Tomahawk-Raketen abgefeuert werden, befinden sich außerhalb der Reichweite gegnerischer Waffen. Der Krieg hat hier alle Charakteristika der klassischen Duellsituation verloren und sich, zynisch gesagt, gewissen Formen von Schädlingsbekämpfung angenähert.“ (Herfried Münkler) Der Schädling heißt jetzt Gaddafi. Nur, wie das mit der Kriegsoption und ihren Folgen so ist: am Ende sterben nicht (nur) die Diktatoren, sondern unschuldige Menschen. Die Diskussion um „Kollateralschäden“ wird unterdrückt. Kann der Pilot im heranrasenden Flugzeug oder die Flügelrakete unterscheiden, ob das am Boden ein „Schädling“ oder ein „nützlicher Zivilist“ ist? Ein böser Regierungssoldat oder ein guter Aufständischer?

Die angreifenden Mächte haben seit Anbeginn nicht auf die „Flugverbotszone“ zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung abgezielt, wie es in der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates vom 17. März 2011 formuliert worden war, sondern auf den Wechsel des politischen Systems in Libyen. Das aber ist durch das Völkerrecht nicht gedeckt. Auch dieser Krieg des Westens hat mehr unschuldige Opfer, als uns die Medien Glauben machen wollen, und er ist völkerrechtswidrig, auch wenn sich seine Betreiber auf Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates berufen. Es ist jetzt der dritte Krieg, den der Westen seit 2001 in der muslimischen Welt führt, nach dem Afghanistan- und dem Irakkrieg. Heute vermag niemand zu sagen, wie lange er dauern und wie viele Opfer er noch kosten wird, was das unmittelbare Resultat und am Ende die Folgen sein werden. Und gegen wen der nächste Krieg geführt wird. Wenn wir uns jedoch der Macht der Gewöhnung an den Krieg überlassen, wird der nächste ganz gewiss kommen.


Großer Dank gilt den Mitgliedern des Gesprächskreises Frieden der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Rosa-Luxemburg-Stiftung und allen anderen Kolleginnen und Kollegen, die an Diskussionen zu den Umbrüchen im Nahen Osten und zu den Umständen und Zielen des Krieges teilgenommen sowie rasch und kooperativ meine Fragen beantwortet und wichtige Hinweise gegeben haben, insbesondere Fritz Balke, Wolfgang Bator, Michael Brie, Kathrin Buhl, Murat Cakir, Wolfgang Grabowski, Mamdouh Habashi, Klaus Hart, Arndt Hopfmann, Claus-Dieter König, Karin Kulow, Rajiv Kumar, Peter Linke, Armin Osmanovic, Norman Paech, Helmut Peters, Lutz Pohle, Werner Ruf, Peter Schäfer, Arne C. Seifert und Achim Wahl. In diesem Sinne wurden auch Aussagen und Textpassagen aus Zuarbeiten in das Gesamtpapier übernommen. Besonders bedanke ich mich auch bei meiner Frau Petra Crome, die das Gesamtpapier sehr aufmerksam durchgesehen, kritische Bemerkungen gemacht und die Anspannung beim Schreiben freundlich ertragen hat. Für die inhaltlichen Aussagen dieses Textes jedoch trage ich die Verantwortung.

Erhard Crome, 5. Mai 2011

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