Ging die Welle von Streiks, die Christian Frings 2013 einen «historischen Wendepunkt» nannte, von Mannheim aus?
Mit dieser Ausgangsfrage beleuchtet der Politikwissenschaftler Torsten Bewernitz in seinem Beitrag zuerst die Arbeitsmigration nach 1945 und die Streikwelle 1973, um dann detaillierter auf die Ausstände im Rhein-Neckar-Gebiet und insbesondere auf den Mannheimer Streik bei John Deere vom 22. bis zum 29. Mai 1973 mit 2.500 Beteiligten einzugehen.
Bewernitz schreibt:
Mannheim markiert zwar nicht den Beginn der spontanen Streikwelle 1973, aber im Mai 1973 einen ersten Kumulationspunkt der Ausstände. Die ersten dokumentierten «wilden» Streiks des Jahres 1973 fanden Mitte Februar bei Hoesch in Dortmund und zwei Wochen später bei Mannesmann in Duisburg statt. [...]
Der Streik bei John Deere war bis dato der größte, was Karl Heinz Roth 1974 in der Einleitung zu «Die ‹andere› Arbeiterbewegung» zu der Aussage führte, dieser Streik habe «einen der denkwürdigsten Kampfzyklen in der westdeutschen Klassengeschichte» eingeleitet. Für Mannheim war er «Abschluss und Höhepunkt» der spontanen Arbeitskämpfe. [...]
Der Streik und vor allem die Streikniederschlagung bei John Deere sind insgesamt eher ein negatives Beispiel für die hierarchische und teilweise nationalistische bis rassistische Spaltung in der Arbeiterklasse, das Redaktionskollektiv des express spricht 1974 von einer «schmerzhaften Niederlage». Die Parole «Gemeinsamer Feind – gemeinsamer Kampf», die der KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) in einem Flugblatt ausgegeben hatte, hatte nur für eine Minderheit eine Bedeutung.
Aber der Streik hatte, gemeinsam mit der Streikwelle, auch positive Veränderungen zur Folge: «Er trug dazu bei, daß bei den Arbeitskämpfen die Aufmerksamkeit zunehmend auf die unmenschlichen Bedingungen am Arbeitsplatz gelenkt wurde». Zumindest einige zentrale Forderungen wurden in der folgenden, vorgezogenen Tarifrunde im Metallbereich aufrechterhalten und realisiert, dazu gehört die sogenannte «Steinkühler-Pause». Debatten um eine «Humanisierung der Arbeitswelt» und ein Zugehen der Gewerkschaften auf die migrantischen KollegInnen sind in der Streikwelle begründet.
Bewernitz beschäftigt sich abschließend nicht nur mit den Gründen und Motivationen der 1973er Streikwelle, sondern schaut auch auf die Entwicklungen danach – von den Auswirkungen des Anwerbestopps bis hin zu heutigen migrantisch geprägten Streiks, z.B. von Leih- und Saisonarbeiter*innen oder Geflüchteten und Asylbewerber*innen.
Der Arbeitsmarkt hat sich – selbst wenn wir nur die als prekär geltenden Bereiche betrachten – dermaßen ausdifferenziert, dass die verschiedenen Milieus trotz ähnlicher ökonomischer Bedingungen kaum mehr zusammenkommen.
Gemeinsame Arbeitskämpfe, solidarischer Protest und Widerstand, werde heute neben der Klassenspaltung zusätzlich durch die zunehmende Vereinzelung im Arbeitsleben erschwert, so Bewernitz:
Die auch rein räumliche Spaltung der Arbeiterklasse muss heute sicherlich tatsächlich nach Feierabend überwunden werden, d.h. aber auch, spezifisch proletarische Räume und Zeiten zu schaffen, in und an denen dies möglich ist.
Der Beitrag von Torsten Bewernitz, Politikwissenschaftler und Redakteur bei express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, erschien zuerst in:
FAU Mannheim (Hrsg.): Mannheims «andere» Arbeiterbewegung. Beispiele eines lokalen Arbeiterradikalismus, Lich 2014.
Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.