Von der globalen Finanzkrise zur globalen Wirtschaftskrise
„Das Geld verdeckt die wahre Herkunft aller Reichtümer von der Arbeit, ruft beständige Preisschwankungen hervor und gibt daher die Möglichkeit zu willkürlichen Preisen, zu Prellereien und zur Ansammlung von Reichtümern auf Kosten anderer. Also fort mit dem Gelde!“ (Rosa Luxemburg: Einführung in die Nationalökonomie, in: Gesammelte Werke, Bd. 5, Berlin 1975, S. 730)
Diese Forderung Rosa Luxemburgs vor genau 100 Jahre ist nicht Wirklichkeit geworden. Heute steht die Welt nach der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 erneut vor dem totalen Zusammenbruch des Kapitalismus. Anstatt zu sparen wie vor 80 Jahren pumpen die Notenbanken der Welt heute Geld in die Märkte, um die Liquiditätskrise der Banken abzufedern. Mit einem ‚Schutzschirm für Banken‘ versuchen etliche Staaten den Systemcrash zu verhindern und die Finanzmärkte zu regulieren. Unberücksichtigt bleibt ein Konzept für einen ‚Schutzschirm für Arbeitsplätze‘.
Aber was sind eigentlich die Gründe für das finanzielle Debakel? Wie können die Märkte stabilisiert und die Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt werden? Was erwartet uns noch? Gibt es politische Alternativen in Rezession und Gesellschaftskrise? Antworten auf diese Fragen lieferte der Ökonom Joachim Bischoff am 31. Januar beim Rosa Luxemburg Club in Düsseldorf. Seit nunmehr drei Jahren lädt der RLS-Club Düsseldorf in Kooperation mit Attac einmal im Halbjahr zur kritischen Reflexion zu Tagesseminaren ein. Dieses Mal steht das Thema Finanzkrise im Mittelpunkt. „80 Prozent der Deutschen wissen nicht, was die Finanzkrise genau ist“, weiß der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgerischen Bürgerschaft Joachim Bischoff. Die Bürger müssten unbedingt aufgeklärt werden.
„Das schlimmste haben wir noch lange nicht hinter uns“, befürchtet Bischoff. Eröffnet worden sei die Krise 2007, dramatisch zugespitzt hätte sie sich im September 2008. von da an sei die die Realökonomie weltweit massiv eingebrochen. Dies verdeutliche sich beispielsweise in Deutschland am Verkauf von Volvo Lastwagen: Wären im dritten Quartal 2007 noch 42 000 neue Lastwagen verkauft worden, wäre die Anzahl der Käufe im dritten Quartal 2008 bereits auf 115 zurückgegangen. Ähnlich sähe es auf dem Automobilmarkt aus: Allein in Deutschland seien 800 000 Jobs in der Branche bedroht. Die Eisenbahn hätte zusätzliche Gleise aufgekauft, um Güterwagen abzustellen, die nicht gebraucht würden. Die US-Amerikaner würden im durchschnitt 10 Prozent weniger konsumieren als zuvor.
Bishoff nennt drei Prozesse, die die Finanzkrise ins Rollen gebracht hätten: „Auslaufender Konjunkturzyklus, Langfristige Tendenz zu geringen Wachstumsraten und die globale Auswirkung der Finanzkrise, das heißt Redimensionierung des Finanzsektors“.
Wie konnte das passieren? „Der Dow Jones hatte seinen Höchststand 2007 mit 14 000 und ist jetzt auf 8000 runtergerutscht“, erklärt Bischoff. Insgesamt hätten die Finanzinstitute 2008 Verluste von 2,8 Billionen zu verzeichnen. Weltweit beriefen sich die Wertverluste auf über 3,5 Billionen.
Der eigentliche Auslöser der Krise in den USA seien flexible Kreditverträge mit steigenden Zinsen ab dem zweiten oder dritten Jahr sowie ab 2007 fallende Häuserpreise gewesen. Seit den 90er Jahren wären die Immobilienpreise kontinuierlich gestiegen. Dies hätte bei vielen Bürgern die Illusion geweckt, dass dieser Trend anhalten würde und sie sich an der Entwicklung beteiligen könnten. Attraktiv für die Entscheidung zum Kauf seien niedrige Zinssätze gewesen. Dadurch, dass immer neue KäuferInnnen hinzukamen seien die Preise weiter gestiegen. „Infolge der Preissteigerungen konnten Hausbesitzer höhere Beleihungen (Schulden) auf ihr Grundvermögen eingehen.“, sagt Bischoff.
„Die US-Bürger konnten ohne Eigenkapital ein Haus kaufen obwohl die Zahlungsverpflichtung nicht geleistet werden konnte“, erklärt Bischoff weiter. Hintergrund sei die chronische Wohnungsnot in den USA. Im Gegensatz zu Deutschland gebe es in den USA kaum Miet- oder Sozialwohnungen, darum entschieden sich die Leute für einen Kredit. Die Folge: „Die MieterInnen konnten nicht zahlen, es kam zur Zwangsversteigerung.“ Das wichtigste Ziel des US-Präsidenten Barack Obama sei es, den Auszug der MieterInnen aus den belasteten Häusern zu stoppen. Anderenfalls würde die Hypothek an Wert verlieren, offen stehende Kredite nicht gezahlt, wodurch es zum kompletten Zusammenbruch des Wirtschaftssystems käme.
Um das Haus zu finanzieren, hätten die Banker den Bürgern zu Hypo-Anlagen geraten, wo der Zinssatz bei 6 bis 9 Prozent liegt, im Gegensatz zu normalen Sparzinsen mit 2 bis 3 Prozent. Die HauskäuferInnen ohne Eigenkapital würden sich also 70 bis 80 Prozent bei der Bank leihen. Dort käme es zur so genannten ‚Verbriefung’: „Die Hypothekenkredite der KäuferInnen werden zu gesammelten Schuldverpflichtungen gebündelt (auch COD = collateralized debt obligations genannt) und zum Teil aus der Bankbilanz ausgegliedert.“ Das Problem: Die gebündelte Schuldverpflichtung kreiste wie ein Planet um die Bank. Dieser Wertbestand des ‚Schattenbankensystems‘ mache in den USA eine Summe von 6,6 Milliarden und in Europa 1,2 Milliarden Euro aus. Diese Anlageprodukte von Leihkapital würden international gestreut, darum seien Banken in Deutschland, Frankreich oder China in die Immobilienkrise der USA einbezogen.
Die Ursachen würden sich also erstens aus den Hypothekendarlehen, zweitens aus sonstigen Konsumentenkrediten, wie Auto- und Studiendarlehen und drittens aus der Verbriefung und den Schattenbanken ergeben.
Mit einem Blick auf die Nachbarländer würde Deutschland noch relativ gut dastehen, denn es sei von dem Immobiliensektor ausgenommen. Als hervorstechende Probeleme der Bundesrepublik Deutschland benannte Bischoff: „eine miserable Lohnpolitik, wodurch das Ankurbeln der Wirtschaft unterdrückt wird und Exportüberschüsse.“ In Island könne bei 320000 Einwohnern gar von einem Staatbankrott gesprochen werden. Pensionen und Versicherungsleistungen seien hinfällig, Demonstrationen vor dem Parlament an der Tagesordnung. „Spanien ist das erste europäische Land, das komplett abgesoffen ist.“
Wie kann die Krise abgefangen werden? Mit der Schutzschirmlogik für Banken wolle Deutschland einen Zusammenbruch des Bankensystems verhindern. Zu den höchst verschuldeten Finanzinstituten gehörten in Reihenfolge: Die Hypo Real Estade, die Commerzbank, die HSH Nordbank, die Bayern LB, die Deutsche Industrie Bank, die Volkswagenbank, die West LB und die Sachsen LB. Insgesamt seien 480 Milliarden Euro Banksanierung in Deutschland notwendig um das Kreditsystem zu erhalten. Der Nachteil: „Große Finanzunternehmen werden gestärkt und es gibt zu wenig Hilfe für überschuldete Privathaushalte“, ärgert sich Bischoff.
In einem zweiten Schutzschirm „gegen schwere Zeiten“ hätte die Bundesregierung 65,3 Milliarden Euro eingeplant. Darin enthalten seien steuerliche Entlastungen für private Haushalte und Unternehmen, Maßnahmen für die Agentur für Arbeit, die umstrittene Abwrackprämie, Senkung der Einkommenssteuer und Krankenversicherungsbeiträge, eine Einmalzuzahlung für Kinder und Zukunftsinvestitionen.
Begleitend zu den Bankennotplänen gebe es, so Bischoff, weitere Alternativen: Maßnahmen gegen Zwangsvollstreckung müssten eingeleitet, Maßnahmen für die Einlagensicherung der Sparguthaben, für die Sicherung der Rentenansprüche und Lebensversicherungen ausgearbeitet werden. Nötig seinen zudem Investitionen in Zukunftsprogramme, eine dringende Verbesserung der Transferleistungen (Hartz IV, Alg I und II), eine Etablierung der Bürgerversicherung bei Rente und Gesundheit. Außerdem sollten Sparkassen und Volksbanken gestärkt und eine Gegenfinanzierung durch harte Besteuerung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen ermöglicht werden. Zudem seinen Grundlegenden Änderungen der Verteilungsverhältnisse erforderlich.
Zum Weiterlesen: Joachim Bischoff: Globale Finanzkrise. Über Vermögensblasen, Realökonomie und die ‚neue Fesselung‘ des Kapitals, Hamburg 2008; Joachim Bischoff: Jahrhundertkrise des Kapitalismus, Hamburg 2009.
Der Frage „Kapitalismus am Ende?“ geht Attac vom 6. bis 8. März 2009 an der Technischen Universität auf den Grund. Unter dem Motto „Casino schließen - Wir zahlen nicht für eure Krise“ zieht Attac am 28. März in Berlin und Frankfurt auf die Straße. Anmelden oder weitere Infos unter: www.attac.de