Kaum ein Thema löst so viele Emotionen in der Linken aus wie die als Antisemitismus denunzierte Israelkritik. »nd«-Autor Peter Nowak möchte eine knappe Zusammenfassung des Antisemitismusstreits in der deutschen Linken liefern. Dies ist angesichts beschränkten Platzes innerhalb eines Bandes selbstverständlich nur mit Mut zur Lücke möglich. Nowak verwendet nicht die Begriffe »antideutsch« und »antiimperialistisch« zur Beschreibung der beiden Pole der Debatte. Stattdessen spricht er von einem »israelsolidarischen« und einem »israelkritischen Spektrum«, was die Sichtweise verbreitert, aber eine Dualität auch nicht ganz vermeiden kann. Nowak grenzt regressiven Antizionismus und regressive Israelkritik von deren anderen Spielarten ab und kritisiert beide.
Der Autor durchschreitet die 1960er und 1970er Jahre und schildert kurz Debatten im SDS und in dessen Umfeld. Schon vor dem Zusammenbruch des Realsozialismus hatte es in einigen Gruppen der radikalen Linken eine selbstkritische Debatte zum linken Antisemitismus gegeben. Diese gewann durch den nationalen Taumel, der die deutsche «Vereinigung» begleitete, neue Nahrung. Konnte die Linke angesichts des nun zunehmenden Rassismus und Nationalismus noch behaupten, sie vertrete die Interessen der (unterdrückten) Mehrheit der Bevölkerung? Und war nicht das antikoloniale Modell der nationalen Befreiung angesichts des Weltmarktes überholt? Brachte die Fokussierung auf die Ökonomie ein verkürztes Verständnis des deutschen Rassismus und Nationalsozialismus? Hier löste u. a. das 1995 erschienene Buch von Daniel Goldhagen über den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen wichtige Reflexionsprozesse aus.
Dem Band beigefügt ist ein Interview mit Peter Ullrich. Der Soziologe weist bei aller auch von ihm vertretenen Kritik an «den Antideutschen» auf deren Verdienste hin: Sie hätten den Befreiungsnationalismus kritisiert, eine ideologiekritische Analyse des Antisemitismus vorgenommen und den subjektlosen Charakter des Kapitalismus herausgestrichen. Als großes Problem benennt er indes deren moralischen Rigorismus, der mit dem Schlagwort «Anpassung» jegliche Nachdenklichkeit ersticke. Freilich, «die Antideutschen» - und das zeigt dieses Buch deutlich - sind nicht so homogen und dogmatisch, wie oftmals angenommen wird.
Jüngeren Genossen und Genossinnen, die die damaligen Debatten nicht aus eigenem Erleben kennen, wie auch jenen, die diese dereinst geführt haben, sowie generell allen Lesern und Leserinnen, die sich heute mit dem Thema auseinandersetzen müssen und wollen, sei dieser Band wärmstens zur Lektüre empfohlen.
Peter Nowak: Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken. Mit einem Interview mit Peter Ullrich, Münster 2013: Edition Assemblage (96 S., € 9,80).
Die Besprechung erschien erstmals am 15.07.2013 in der Tageszeitung nd.