Christina Späti hat in ihrer Doktorarbeit Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus in der schweizerischen Linken zwischen 1967 und 1991 untersucht und damit einen beeindruckenden Beitrag zur Bedeutung von Antizionismus und Antisemitismus in der westeuropäischen Linken vorgelegt. Die «Linke» wird sehr breit gefasst, das Buch versteht darunter die Sozialdemokratie und Gewerkschaften über Christen und die
moskautreue Partei der Arbeit (PdA) bis hin zur undogmatischen POCH und den Autonomen. Als Quellen dienen über 100 ausgewertete Periodika dieser verschiedenen Strömungen. Da sich die Positionen vieler beteiligter AkteurInnen in den letzten Jahrzehnten verändert hätten, sei es schwierig, mit Befragungen von ZeitzeugInnen zu arbeiten, die Methode der «oral history» wandte Späti folglich nicht an.
Antisemitismus wird in der Schweiz erst seit Mitte der 1990er Jahre wissenschaftlich untersucht, eine Tradition der linken Beschäftigung mit dem eigenen Antisemitismus gibt es - im Gegensatz zu Deutschland - nicht. Antisemitismus sei ein Phänomen, das vor allem Deutschland betreffe und mit dem Ende des Nationalsozialismus untergegangen sei, so die vorherrschende Meinung. Späti betritt also echtes Neuland. In ihrer fundierten Studie definiert sie drei grundsätzliche Positionen, die Linke einnehmen bzw. eingenommen haben: den das Existenzrecht Israels leugnenden Antizionismus, die dualistische, für eine Zweistaatenlösung eintretende Position und drittens die pro-israelische Position. Letztere tritt ab 1982 nicht mehr auf, ihre AnhängerInnen schwenken auf die dualistische Position ein.
Späti teilt den Untersuchungszeitraum in vier Abschnitte auf und dekliniert dann die jeweiligen Strömungen ausführlich durch. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 veränderte sich die Haltung der schweizerischen Linken zu Israel und zum Nahostkonflikt grundlegend. Die durch die 68er-Bewegung entstandene Neue Linke lehnte aufgrund ihrer antiimperialistischen Weltanschauung das Existenzrecht des jüdischen Staates mehrheitlich ab. Selbst innerhalb der gemäßigten Linken nahm in den siebziger Jahren Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern zu.
Der linke Antisemitismus wurde durch zwei Umstände erleichtert: eine ökonomistische Faschismusanalyse, die die Shoah ausblendete und ein stark vereinfachendes Bild von Antiimperialismus, das weltweit nach gut und böse sortierte. Am anfälligsten für Antisemitismus sei, so der nicht weiter überraschende, aber von Späti gut begründete Befund, der Antizionismus gewesen. Als weiteres Ergebnis kann festgehalten werden, dass das bequeme linke Selbstbild, dass man als Linker kein Antisemit sein könne, sehr in Frage gestellt werden muss.
Die Autorin ist in ihren Bewertungen und Schlussfolgerungen, obwohl sie sehr viele Belege angibt, die für viel weitergehende Kritik herangezogen werden könnten, erstaunlich zurückhaltend. In ihren Schlussfolgerungen schreibt sie: «Wie die Studie gezeigt hat, wurden in linken Publikationen antisemitische Klischees und Vorurteile transportiert. (...) den meisten Linken (ging es) in ihrer Kritik an Israel in erster Linie um Solidarität mit den unterdrückten Palästinensern und nicht um den Ausdruck einer grundsätzlich antisemitischen Haltung».
Leider bleibt ein interessanter Zeitraum ausgespart, der vom zweiten Golfkrieg bis heute, denn spätestens nach dem 11.9.2001 kam es zu einem Wiederaufleben des Antisemitismus, sowohl in der Linken, als auch im Massenbewusstsein. Sehr angenehm ist, dass das Buch weder von Antideutschen noch von denjenigen eingemeindbar sein dürfte, die von einer liberalen akademischen Warte aus zum Linken-Bashing neigen.
Christina Späti: Die schweizerische Linke und Israel. Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus zwischen 1967 und 1991, Antisemitismus: Geschichte und Strukturen 2, Essen 2006: Klartext Verlag (360 S., 29,90 €).
Die Besprechung erschien erstmals im Mai 2007 in der Online-Zeitung Trend-Info-Partisan.