Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Verteilungskrise «Für kleine Träger wird es richtig eng»

Interview mit Mike Alband-Nau, Vorstandsvorsitzender der Sozialgruppe Kassel e.V. über die Auswirkungen der steigenden Preise auf die Praxis

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«Egal, ob in der Altenpflege, Kita oder bei der Eingliederungshilfe, überall spüren wir die drastisch gestiegenen Preise.» Mike Alband-Nau, Vorstandsvorsitzender der Sozialgruppe Kassel e.V.
«Egal, ob in der Altenpflege, Kita oder bei der Eingliederungshilfe, überall spüren wir die drastisch gestiegenen Preise.»
Mike Alband-Nau, Vorstandsvorsitzender der Sozialgruppe Kassel e.V.Foto: Privat

Mike Alband-Nau ist Vorstandsvorsitzender der Sozialgruppe Kassel e.V., einem sozialen Träger, der in Kassel eine Werkstatt und eine Tagesförderstätte für Menschen mit Behinderungen, ein Altenpflegeheim und eine Tagespflegeeinrichtung sowie eine Kita betreibt. Steigende Preise belasten die Arbeit, aber den sozialen Träger trifft es nicht ganz so hart wie andere – er profitiert unter anderem davon, dass die Kita vor Kurzem energetisch saniert wurde. Aber an der Finanzierungslogik für die Träger müsse sich grundlegend etwas ändern, fordert Alband-Nau. Mit ihm sprach Eva Völpel.

Herr Alband-Nau, wie hart werden ihre Einrichtungen von der Inflation getroffen?

Mike Alband-Nau: Egal, ob in der Altenpflege, Kita oder bei der Eingliederungshilfe, überall spüren wir die drastisch gestiegenen Preise. In der Eingliederungshilfe und in der Pflege machen uns vor allem die gestiegenen Energiekosten zu schaffen, aber in der Pflege auch die höheren Lebensmittelpreise. Bei unserer Kita haben wir aber mit Blick auf die Energiekosten Glück.

Warum?

Wir haben die Kita just im letzten Jahr energetisch saniert. Unseren Strom generieren wir jetzt selbst und speisen zum Teil auch noch Strom ins Netz ein. Auch mit Blick auf die Gas- und Strompreisbremse haben wir mehr Glück als andere Einrichtungen.

Wieso das? 

Unsere Lieferverträge für Gas- und Strom liefen bis 31. Dezember 2022. Für die Stromlieferung mussten wir im Dezember einen neuen Liefervertrag mit neuen, deutlich höheren Preisen abschließen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Preise aber zumindest schon leicht entspannt. Das Angebot für Gas hatten die Stadtwerke, nach Wegfall der Gasumlage, zurückgezogen und nicht erneuert, sodass wir aktuell immer noch zu den bisherigen Konditionen beliefert werden. Sowohl für Strom als auch für Gas erhalten wir die Preisbremsen des Bundes. Wir verbrauchen über zwei Millionen kWh und erhalten sehr niedrige Preisdeckel bei der Wärmepreisbremse. Unser Glück waren also der Zeitpunkt, zu dem wir neue Lieferverträge abschließen mussten, sowie unser Gesamtverbrauch. Kleinere Einrichtungen profitieren hier weniger und wenn man früher im Jahr Verträge schließen musste, fallen die Preise noch höher aus.

Wo sind Ihre Kosten noch stark gestiegen?

Am deutlichsten merken wir es bei den Lebensmittelkosten im Wohnbereich Pflege. Die sind sicher um 27 bis 30 Prozent gestiegen. Auch Dienstleistungen, die wir einkaufen müssen, sind alle teurer geworden. Bei den Lebensmitteln kann man nicht wirklich etwas einsparen beim zentralen Einkauf. Wir schauen jetzt aber genauer hin, wie viele Mahlzeiten wir zubereiten. Früher hatten wir vielleicht auch mal zehn Essen über, heute wird so geplant und gekocht, dass deutlich weniger übrig bleibt. Das klingt erstmal gut, aber es bedeutet im Alltag, dass wir jetzt fast nichts mehr an die Lebensmitteltafeln geben können, die es ja dringend brauchen. 

Erhalten Sie zusätzliche Mittel von den Pflegekassen?

Der Kostenträger hatte uns für die Laufzeit 1. Dezember 2022 bis 30. November 2023 eine Erhöhung von vier Prozent angeboten. Aber das wird vorne und hinten nicht reichen. Wir haben das Angebot erst später angenommen, gleichzeitig werden wir zu Einzelverhandlung aufrufen, um nachzubessern. Aber das wird dauern, denn die Pflegekassen kommen damit überhaupt nicht hinterher. Man hängt also lange in der Luft. Und viele Träger haben nicht die notwendigen Rücklagen. Da wird es für kleine Träger richtig eng, ob sie den Betrieb aufrechterhalten können.

Was sollte konkret anders laufen?

Die Pflegekassen müssten ihre Finanzierungssystematik aufgeben. Wir bräuchten jetzt für alle Träger Spitzabrechnungen für Energie und für das Personalbudget pauschalierte Ansätze und dann müsste man am Ende des Abrechnungszeitraums nur noch Kleinigkeiten nachsteuern. Entweder die Kostenträger zahlen dann noch etwas nach – oder wir zahlen eben etwas zurück. Etwas anders läuft es übrigens mit den Budgets für die Eingliederungshilfen.

Inwiefern?

Während es in der Pflege jetzt langwierige Einzelverhandlungen gibt, wird die Eingliederungshilfe den ganzen Tarif für 2023 für alle Träger zusammen angesichts der Inflation nochmal aufmachen. Da haben wir vermutlich bald eine Lösung und müssen nicht ewig lange in Vorleistung gehen.

Bekommen Sie denn absehbar Hilfen aus dem Härtefallfonds des Bundes oder des Landes Hessen?

Bisher ist das unklar, weil wir noch zu wenig über die Ausgestaltung der Fonds wissen. Wenn wir können, nehmen wir solche Gelder auch nicht in Anspruch, denn es gibt sicher andere, die es nötiger haben. Wir hatten übrigens während der Pandemie als gemeinnütziger Verein große Schwierigkeiten, Coronahilfen in Anspruch zu nehmen. Es hat Monate gedauert, bis das geklappt hat, denn das war alles auf die Privatwirtschaft ausgerichtet.

Wenn unklar ist, ob sie aus den Härtefallfonds Unterstützung bekommen, was bedeutet das in der Praxis? Weiter steigende Eigenanteile in der Pflege? 

Ja, die Eigenanteile werden steigen, aber auch wegen der Tarifsteigerungen, die natürlich gut und notwendig sind. Die Eigenanteile liegen jetzt schon selbst für die höchste Pflegestufe um rund 100 Euro pro Monat höher als im Vergleich zum letzten Jahr. Das wird ein wachsendes Problem. Wir sehen bereits, dass viele Bewohner*innen in die Sozialhilfe abrutschen, um die Beiträge zu erbringen. Gleichzeitig stoßen sich einige gesund, die Mondpreise für Energie nehmen und auf indirekte Finanzierung durch die Politik hoffen – und damit durch die Steuerzahler*innen.

Und wie sieht es im Kitabereich aus?

Da hält die Stadt die Beiträge relativ stabil, die Kita ist auch voll belegt und Härte- und Sozialfälle können sich von den Gebühren ja zum Glück befreien lassen. Wir haben auch die Mittagessenspauschale nicht angehoben. Und die energetische Sanierung rettet uns jetzt vor Kostenexplosionen beim Strom.

Wenn Sie auf die gesamte Finanzierungssystematik schauen, was sollte sich grundsätzlich ändern?

Wir haben ja die Entwicklung, dass vieles nach der Subjektlogik finanziert wird, also es gibt Geld, gekoppelt an die Personen, die versorgt oder betreut werden. Wir brauchen aber eine Logik, in der die Finanzierung einer gewissen Grundstruktur vorgehalten wird. Wir brauchen mehr Vertrauen in die Trägerlandschaft und ein einfacheres System. Wir gehen schon ordentlich mit dem Geld um und wenn man uns nicht so gängeln würde, könnten wir vieles effektiver gestalten. Vielen meiner Kolleg*innen geht es nicht vor allem um mehr Geld, auch wenn sie natürlich gut bezahlt werden wollen. Es geht ihnen vor allem um mehr Personal und bessere Arbeitsstrukturen, um nicht so überlastet zu werden durch X Anforderungen auch bürokratischer Art. Aber leider geht es bei der Personalfrage ja in die andere Richtung. Wir suchen händeringend Personal und bekommen noch nicht einmal den jetzigen Personalschlüssel voll. Das wird leider durch die generalistische Ausbildung* noch verschärft.

Inwiefern?

Pflege ist vor allem eine Herzensangelegenheit und eine händische Tätigkeit. Sie können, müssen dafür aber nicht unbedingt gut in der Schule gewesen sein. Die generalistische Ausbildung legt die Hürden viel zu hoch. Wir haben Leute, die haben den Realschulabschluss nicht geschafft, könnten aber trotzdem gut in der Pflege arbeiten. Aber in der jetzigen Ausbildung bekommen sie ein Niveau, an dem sie in der Schule gescheitert sind und auch jetzt wieder scheitern.


* Seit dem 1. Januar 2020 ist die Ausbildung in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zusammengelegt. Das Ziel ist es, dadurch mehr Pflegekräfte zu gewinnen.